piwik no script img

Archiv-Artikel

Eleganz und Gelassenheit siegen bei Trickski und Sorry Entertainers über Leistungsdenken

Es wird nicht mehr geredet über bpm. Das ist, für die jüngeren Leser, eine Abkürzung und steht für „beats per minute“. Eine Einheit, die in der elektronischen Musik der 1990er mit geradezu abgöttischer Akkuratesse vermessen wurde. Techno erinnerte mitunter an Hochleistungssport: Immer schneller der Rhythmus, immer höher die Highs, immer länger die Nächte. Mit dem Alter wurde aber auch das Genre ruhiger. Wenn man nun heute „Unreality“ von Trickski hört und mit Tracks aus jenen Tagen vergleicht, merkt man überdeutlich wie sich die Standards auf dem Dancefloor verschoben haben. Nicht mehr Schweiß um jeden Preis oder die vollkommene Entäußerung bestimmen das Geschäft. Heute geht es eher um elegante Unterhaltung für, seien wir ehrlich, breitere Bevölkerungsschichten, die am nächsten Morgen vielleicht auch wieder halbwegs bei Sinnen hinter ihren Schreibtisch zurückkehren müssen. Der Club wird familienfreundlich, und auch Yannick Labbé und Daniel Becker prügeln mit ihrem Debütalbum niemanden auf den Tanzboden. Trickski locken lieber: Und das mit allen Tricks, denn der Name, den sich das Berliner Produzentenduo gegeben hat, ist da durchaus Programm. Seien es die verführerisch verlorenen Beats von „Beginning“, das fast schon an ein Kinderlied erinnernde „Jazzmagazine“ oder auch der Gastauftritt von Fritz Kalkbrenner, dem Bruder vom berühmteren Paul, dessen Gesang heutzutage wohl nicht mehr wegzudenken ist von einer Berliner Techno-Platte. Am deutlichsten wird die entspannte Ruhe, die eingekehrt ist im Genre, aber wohl in einem Stück wie „Love’s A Beat“, das einerseits mit einerfast schon zu klischeehaft sexy Frauenstimme operiert, andererseits aber auch als würdevolle Verbeugung vor Prince durchgeht. Trickski entführen mit ihrer „Nachtmusik“, so ein Songtitel, den Hörer in lichtlose Halbwelten, entlassen ihn aber trotzdem halbwegs wiederhergestellt in die Dämmerung.

  Um diesen Kosmos hat sich schon lange Raz Ohara verdient gemacht. Der spielt nicht umsonst eine tragende Rolle auf „Local Jet Set“, dem Debüt von The Sorry Entertainers. Dahinter verbirgt sich DJ Lotti und vor allem der Wille, den Techno aus der Sackgasse der unbedingten Ekstase-Produktion herauszuführen. Ohara singt zwar lange nicht so ausführlich wie bei den Veröffentlichungen unter seinem eigenen Namen, aber selbst die Instrumentals wollen nicht nur einen Dancefloor befüllen. Stattdessen ergehen sich die Sorry Entertainers in einem Eklektizismus, den man im Techno eher selten hört: Afrikanische Trommeln in „Jeopardize“, arabische Harmonien in „Mana Chaninqa“, balkanische Geigen in „The End Of All Time“ oder ein Kinderchor in „Watching You“ werden mit geradezu provokativer Lust gegen den technokratischen Minimal und seinen penetranten Purismus gesetzt. Mit dieser Üppigkeit und großer Freude setzen sich The Sorry Entertainers zwischen alle Stühle: Denn so richtig zum Tanzen geeignet ist „Local Jet Set“ ebenso wenig wie zum Bierchen an der Bar. Und von den bpm wollen wir erst gar nicht reden. THOMAS WINKLER

■ Trickski: „Unreality“ (Suol/Rough Trade), live mit Andrew Weatherall: 8. 7., 20 Uhr, Chez Jacki

■ The Sorry Entertainers: „Local Jet Set“ (Shitkatapult/Alive)