: Die Renner: der Imam und die Muslimin
In der Bibliothek des schwedischen Malmö kann man auch Menschen ausleihen. Ausleihfrist: eine Dreiviertelstunde
„Eine Lesbe, bitte.“
„Tut mir leid, die ist ausgeliehen. Aber wie wäre es mit einem Transvestiten, einem Iman oder einem Sinto.“ Die Stadtbibliothek von Malmö verleiht ein paar Mal im Jahr „lebende Bücher“. „Menschen, die einer Minderheit angehören“, erklärt mir Catharina Norén, die Bibliothekarin. „Rede nicht über dein Vorurteil, sondern triff es – und werde es dadurch los“, lautet der Slogan der Aktion. Catharina Norén, eine freundliche Dame mit schlohweißem Haar, hat sich mit einigen Kollegen aus der Bibliothek zusammengetan, um gegen die Diskriminierung von Minderheiten zu kämpfen.
Dafür ist Malmö der geeignete Ort: Jeder vierte Einwohner ist Ausländer. Es gibt Stadtteile, in denen kaum ein Schwede lebt. Gettobildung ist die Folge: mangelnde Sprachkenntnisse, Arbeitslosigkeit, eine hohe Kriminalitätsrate und das Gefühl sozialer Isolation. Entsprechend groß sind die Vorurteile gegenüber den jeweils anderen Gruppen. Im Vergleich zu Deutschland sind rechtsradikale Ausschreitungen selten. Aber auch in Schweden gibt es Neonazis. Auch dort brannten Ausländerheime. Und: Einige Städte haben sich geweigert, Flüchtlinge aufzunehmen.
Die Konsequenz für Norén: Sie musste Menschen zusammenbringen, die sich im täglichen Leben nicht begegnen. Zumindest für eine Dreiviertelstunde – so lange ist die Ausleihfrist für das „lebende Buch“. Nachdem die Regeln feststanden, suchte Norén Leute, die bei der Aktion mitmachen wollten. „Das war viel leichter als gedacht“, sagt sie. „Fast jeder, den ich bat, sich als lebendes Buch zur Verfügung zu stellen, sagte Ja.“ Und für manche begehrte „Ausleihobjekte“ gibt es sogar Wartelisten. Besonders gefragt: der Imam und die muslimische Frau. Wen man sonst noch ausleihen kann, will ich von Norén wissen. „Eine Lesbe, einen Transvestiten, einen Behinderten, eine Obdachlose, einen Tierrechtsaktivisten, eine Feministin, einen Farbigen, einen Rom, einen Sinto, einen Exstrafgefangenen, einen Dänen“, zählt sie auf. „Der Däne ist sehr gefragt. RASSO KNOLLER
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