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Archiv-Artikel

Aus Bremen in die Tiefen des Weltraums

Neue Ariane-Aufträge winken: Ab 2008 sollen nicht mehr fünf oder sechs, sondern acht Oberstufen jährlich in Bremen gebaut werden. 30 neue Ingenieure wurden dafür eingestellt. Und mit dem Flug zum Mond soll sich Deutschland endlich als führende Industrienation beweisen

von Klaus Wolschner

Evert Dudok, Bremer Astrium-Chef und Vorsitzende der Geschäftsführung der Astrium GmbH, ist eigentlich immer gut gelaunt. Das gehört zum Geschäft und zu seiner holländischen Frohnatur, obwohl er zwischen „seinen“ neun Firmenstandorten und zwischen den politischen Entscheidungszentren Brüssel, Berlin und Paris eigentlich nur unterwegs lebt und weder in seinem Bremer Werk noch am Wohnsitz seiner Familie in München wirklich zu Hause ist. Aber die Geschäfte laufen gut, „die Ariane 5 macht uns Freude“, formuliert Dudok. 60 Prozent der Satelliten, die im Weltraum kreisen, sind mit Ariane-Trägerraketen in ihre Umlaufbahn geschossen worden. Neue Ariane-Aufträge winken, ab 2008 sollen nicht mehr fünf oder sechs, sondern acht Oberstufen jährlich in Bremen gebaut werden. 30 neue Ingenieure wurden dafür eingestellt.

Und es gibt eine Reihe von Weltraum-Projekten, die die Zukunft der Weltraum-Ingenieure bedeuten. Die Weltraumstation ISS ist für die Raumfahrt-Industrie längst abgehakt, man denkt an die Zeit danach. Das europäische Columbus-Labor für die ISS ist seit langem in Bremen fertiggestellt worden, im Dezember wird der Space Shuttle von Cape Canaveral „hochgeflogen“ zur ISS. Ein deutscher Astronaut soll mitfliegen, die Türe zur Weltraumstation will man schließlich selbst aufmachen. Eine Prestigefrage. Könnte man das Projekt ISS schlicht abblasen, das Geld für andere Projekte umleiten? Eine ketzerische Frage. Natürlich könnte man das. Aber das geht nicht. Auch „die Amerikaner“ haben wieder Interesse an der ISS – aber nur als „Testbett“ für die für das Jahr 2024 geplante bemannte Mondstation. Wie können Menschen die monatelange Reise zum Mars durchhalten, das ist die Frage, die die Forscher bewegt.

Weltraum-Industrie ist eine höchst komplizierte Mischung aus globaler Welt-Diplomatie, Industrie-Lobbyismus und Forscher-Geist. Und da hat die deutsche Seite durch den neuen Chef des „Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt“ (DLR), Johann-Dietrich Wörner, einen wichtigen Hoffnungsträger gewonnen. Wörner hatte sich einen Namen gemacht durch die Modernisierung der TH Darmstadt, ein Wissenschaftsmanager mit hohem Potential. Jetzt sitzt er mitten im Netz der deutschen Raumfahrt-Lobby und spinnt seine Fäden.

Warum braucht Deutschland eine Mond-Mission? Wörner sagt das direkt heraus: Nasa-Chef Michael Griffin habe ihm klar gemacht, dass die Amerikaner bei zentralen Teilen ihrer Weltraummissionen keinen Wert auf Zusammenarbeit legen. Dann habe er ihm von seinen Plänen für eine eigene unbemannte Mondsonde erzählt. „Das hat die Stimmung schlagartig verändert“, sagt Wörner. „Plötzlich sah er uns viel eher als interessanten Partner, den man ernst nehmen muss.

Vor ein paar Jahren noch, gesteht Dudok, der Astrium-Vorsitzende, „da gab es Grund zum Pessimismus“. Pisa beschäftigte die Nation. Unter der Wissenschaftsministerin Edelgard Buhlman gab es Diskussionen darüber, ob man das knappe Geld nicht besser für irdische Ziele ausgeben sollte. Zum Glück hätten internationale vertragliche Bindungen die Raumfahrt-Projekte vor dem Rotstift gerettet. Jetzt verspreche der wirtschaftliche Aufschwung neue finanzpolitische Spielräume.

Die europäische Raumfahrt-Industrie steuert einen Weg zwischen „den Amerikanern“ und „den Russen“. Das Ziel ist klar – nach einem kleinen Zwischenstopp auf dem Mond soll es zum Mars gehen. Auf die Rückseite des Mondes will man zunächst, um von dort die Landeplätze auf dem Mars zu erkunden. Die Bremer Astrium-Ingenieure basteln schon an einer Vorstudie für einen Mars-“Lander“, also ein 50 Kilo schweres Vehikel, das im Jahre 2013 auf dem Mars abgesetzt werden könnte. Den Ehrgeiz, Menschen auf den Mars zu bringen, überlassen die Europäer derzeit noch den USA.

Natürlich sind die Weltum-Ingenieure auch immer wieder auf enge Kooperation untereinander angewiesen und verstehen sich trotz der Konkurrenzen dann im Zweifelsfall sehr gut. Ein Test darauf fand vor wenigen Wochen auf der Raumstation ISS statt. Seit dem Jahre 2000 tut da ein Computer „made in Bremen“ seinen Dienst, der zentrale Bordcomputer in der russischen Station. „Fehlertolerant“ ist der, schwärmen die Bremer Baumeister, und hat mit seinen sieben Jahren einen Weltrekord des Dauerbetriebes ohne einen Ausfall erreicht. Doch dann war plötzlich an einem Freitag im Juni alles aus. „Noise on the line“ meldeten die Amerikaner, keine Verbindung. Der Sauerstoff reicht für 54 Tage auf der Raumstation, wenn dieser Computer ausfällt. Immerhin Zeit genug, um alle Astronauten lebend herunterzubringen. Der Bremer Computer ist das Herz der Raumstation. Klar, die Russen haben Mist gebaut, hieß es in den USA. Aus Moskau wurde der schwarze Peter für den Computer-Ausfall „den Amerikanern“ zurückgegeben – die hätten schließlich gerade mit einem Sonnen-Segel andocken wollen an die ISS. Ein internationales Team von Ingenieuren machte Nachtschichten, um den Fehler herauszufinden, federführend die Väter des Computers in Bremen zusammen mit den Experten in den USA und in Russland. Am Sonntag kam dann die Entwarnung: Der Computer läuft wieder, es war nichts kaputt. Warum war er in dem Moment, in dem die USA ihr Solar-Modul andocken wollten, schlicht ausgefallen? Da schweigen die Fachleute vielsagend. Diplomatische Zurückhaltung ist oberstes Gebot im internationalen Weltraum-Geschäft. Wer lässt sich schon ungestraft gern als Depp darstellen.

Und warum müssen wir nun unbedingt zum Mars? „Es ist nicht meine Aufgabe, das zu beurteilen“, sagt der Bremer Astrium-Chef Dudok vorsichtig. Das sei „eine politische Entscheidung“. Natürlich geht es um den „Entdeckergeist“ der Menschheit, jammerschade wäre es auch für die Arbeitsplätze der hochqualifizierten Ingenieure, die sich den unvergleichlichen Herausforderungen stellen.