piwik no script img

Der lange Abschied vom Amtsgeheimnis

BÜRGERINFORMATION Vor fünf Jahren ist das Informationsfreiheitsgesetz in Kraft getreten. Der freie Zugang zu behördlichen Informationen soll demnach die Regel sein. Doch der neue Geist ist noch nicht in den deutschen Amtsstuben angekommen

Bürgerinformationsgesetz

■ Im Dezember 2010 hat Greenpeace gemeinsam mit dem Netzwerk Recherche und der Deutschen Gesellschaft für Informationsfreiheit einen Gesetzesvorschlag für ein einheitliches Bürgerinformationsgesetz (BIG) vorgelegt. Damit soll die Aufsplitterung der Gesetze, die regeln, welche Informationen die Bürger von der Verwaltung erhalten können, aufgehoben werden. Derzeit gibt es neben den drei Bundesgesetzen (Informationsfreiheitsgestz/IFG, Verbraucherinformationsgesetz/VIG und Umweltinformationsgesetz/UIG) noch weitere 26 Landesgesetze. Das geforderte einheitliche BIG soll auf den Regelungen des UIG aufbauen, das seinerseits auf der EU-Umweltinformationsrichtlinie beruht. Zentrale Punkte des BIG-Entwurfs lauten: Gewährleistung eines möglichst umfassenden Zugangs zu Informationen; der Anspruch auf Informationen besteht auch gegenüber bestimmten Privatunternehmen; eine „Abwägungsklausel“, auch Public Interest Test genannt, regelt, dass Ausnahmen nicht geltend gemacht werden dürfen, wenn das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe der Information größer ist als ein bestehendes Geheimhaltungsinteresse. (os)

VON OLE SCHULZ

Dass das Amtsgeheimnis nicht nur ein prägendes Merkmal der deutschen Verwaltung ist, sondern die Bürokratie mit dem ständigen Verweis auf die behördliche Verschwiegenheit auch ein Eigeninteresse verfolgt, darauf hat bereits Max Weber hingewiesen: Weit über „Gebiete rein sachlich motivierter Geheimhaltung wirkt das reine Machtinteresse der Bürokratie als solches“, schrieb der deutsche Soziologe in seinem Hauptwerk „Wirtschaft und Gesellschaft“. „Der Begriff des ‚Amtsgeheimnisses‘ ist ihre spezifische Erfindung, und nichts wird von ihr mit solchem Fanatismus verteidigt wie ebendiese.“

Seinen Ursprung hat das Amtsgeheimnis im absolutistischen Staat, der die Geheimhaltung zum Herrschaftsinstrument gemacht hat. Es überlebte auch die 1848er Revolution, in der das liberale Bürgertum die typisch deutsche Geheimniskrämerei-Haltung des Staates erstmalig zu überwinden versuchte. Sogar nach dem Zweiten Weltkrieg blieb dieses Privileg unangetastet, wenngleich man den Paragrafen vergeblich suchen wird, in dem die Amtsverschwiegenheit festgeschrieben wurde. Vielmehr wurden die „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums“ im Artikel 33 des Grundgesetzes einfach als Strukturprinzipien der Verwaltung fortgeschrieben.

Seit 2006 gilt auf Bundesebene nun ein Gesetz, das mit diesem Prinzip bricht: das Informationsfreiheitsgesetz (IFG). Zumindest theoretisch gilt seither, dass alles, was die Verwaltung produziert, erst einmal grundsätzlich öffentlich ist. Die Gewährung von Zugang zu behördlichen Informationen soll die Regel und ihre Verwehrung die Ausnahme sein. Allerdings gilt weiterhin ein umfangreicher Katalog von Ausnahmetatbeständen, zu dem unter anderem auch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse gehören.

Keine Transparenzkultur

Greenpeace, das bereits 2004 gemeinsam mit Transparency International und der Humanistischen Union einen entsprechenden Gesetzesentwurf ausgearbeitet hatte, kommt fünf Jahre nach dem Inkrafttreten des IFG zu einer kritischen Zwischenbilanz: „Eine Kultur der Transparenz hat sich bislang noch nicht durchgesetzt“, sagt Manfred Redelfs, Leiter der Rechercheabteilung von Greenpeace. „Die Behörden neigen bei heiklen Auskunftsanfragen dazu, zunächst einmal abzulehnen. Der Ball liegt dann bei den Gerichten, die im Zweifelsfall entscheiden müssen, ob ein Auskunftsanspruch berechtigt war oder nicht.“

Dabei hat sich eine Befürchtung, die vor der Verabschiedung des IFG häufig geäußert wurde, nicht bewahrheitet: dass die Behörden in einer Flut von Anfragen untergehen würden. Denn die Zahl der Anfragen nach dem IFG hat sich bei rund 1.500 pro Jahr eingependelt. „Im Vergleich zu anderen Ländern wie den USA, wo es schon länger Bürgerinformationsgesetze gibt, ist das nicht viel“, sagt Redelfs. Das hat laut dem Greenpeace-Experten auch damit zu tun, dass vielen Verbrauchern das Gesetz nicht bekannt sei: „Ausgerechnet ein solches Transparenzgesetz ist ein gut gehütetes Geheimnis.“

Ein weiterer Kritikpunkt von Greenpeace ist, dass es im IFG keine sogenannte Abwägungsklausel mit den Interessen der Öffentlichkeit gibt. Würde eine solche Klausel aufgenommen, könne die Behörde zu dem Ergebnis kommen, so Redelfs, „dass zwar ein Betriebs- und Geschäftsgeheimnis vorliegt, gleichwohl aber ein überwiegendes Interesse an dieser Information besteht und sie somit veröffentlicht werden darf“. Zudem kann es dauern, bevor man Akteneinsicht erhält. Denn die Bearbeitungsfrist von Anfragen ist lediglich durch eine Sollbestimmung geregelt. Demnach soll sie „innerhalb eines Monats erfolgen“, in der Praxis kann es aber erheblich länger dauern.

Dazu kommen Kosten, die abschreckend wirken können: „Unabhängig von der Anzahl an Dokumenten, die man einsehen will – selbst wenn es nur zwei Seiten sind –, sieht das Bundesgesetz hier mindestens 15 und maximal 500 Euro vor“, so Redelfs. Allein für die Herausgabe von Kopien könnten zwischen 15 und 125 Euro abgerechnet werden.

Zu viele Gesetze

Wesentlicher Kritikpunkt von Greenpeace ist aber die Zersplitterung der verschiedenen Gesetze, die regeln, welche Informationen die Bürger erhalten können. Denn neben dem IFG gibt es mit dem Verbraucherinformationsgesetz (VIG) und dem Umweltinformationsgesetz (UIG) noch zwei weitere Bundesgesetze. Dazu kommen auf Landesebene 15 UIGs und 11 IFGs. „Das macht 29 verschiedene Informationsgesetze“, sagt Redelfs.

Ausgerechnet ein solches Transparenzgesetz ist ein gut gehütetes Geheimnis

Greenpeace hat daher gemeinsam mit dem „Netzwerk Recherche“ und der „Deutschen Gesellschaft für Informationsfreiheit“ Ende 2010 einen Gesetzesvorschlag für ein vereinfachtes und einheitliches Bürgerinformationsgesetz vorgelegt, das sich weitgehend am fortschrittlichen UIG orientiert, in dem zum Beispiel eine „Abwägungsklausel“ aufgenommen wurde.

Doch die Bundesregierung hält weiter an den bestehenden Regelungen fest, wenngleich sie im Juli zumindest die Vorlage einer Neufassung das VIG verabschiedet hat: Um das Procedere zu vereinfachen, nach dem sich Verbraucher etwa Informationen über Lebensmittel oder technische Produkte bei Behörden einholen können, sollen sie künftig weitgehend kostenfrei und auch formlos per E-Mail oder Telefon Anfragen stellen können. Das sei „ein Schritt in die richtige Richtung“, so Redelfs.

Auch das IFG bewertet Redelfs trotz aller Mängel als „insgesamt positiv“. Nun könne die Verwaltung wenigstens „unter Legitimationsdruck gesetzt werden“. Neben Privatpersonen profitieren davon gerade auch Nichtregierungsorganisationen und Journalisten. Redelfs selbst hat für Greenpeace unter Berufung auf das UIG und IFG unter anderem auf die Veröffentlichung der Spitzenempfänger von Agrarsubventionen geklagt. „Das Bundesverwaltungsgericht hat uns 2009 recht gegeben, und wir haben diese Daten ins Internet gestellt.“ Das hatte Folgen: Kurz darauf gab es bei dem zweitgrößten Empfänger eine Razzia. „Der Vorwurf lautet auf Subventionsbetrug von 370 Millionen Euro.“

Trotz solcher Erfolge mahnt Redelfs Geduld an und sagt, dass man in der Frage der behördlichen Transparenz in „historischen Dimensionen“ denken müsse: „Auch der ‚Freedom Information Act‘ in den USA von 1966 war zunächst ein stumpfes Schwert.“ Erst durch Reformen nach der Watergate-Affäre habe sich das langsam geändert. Bis sich beim freien Informationszugang ein wirklicher Paradigmenwechsel in den deutschen Amtsstuben vollzogen haben wird, dürften also noch einige Jahre ins Land ziehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen