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Archiv-Artikel

Ufos, Schotter, Einkaufskörbe

FUSSBALL Die Gastgeber der EURO 2012 kämpfen mit allerlei Problemen: Während man sich in Polen Sorgen wegen der Hooligans macht, ringt man in der Ukraine mit der Fertigstellung der Stadien und hadert mit der Korruption

In Lwiw hält sich hartnäckig das Gerücht, das mit dem Schotter, der für den Stadionbau angeblich verwendet wurde, die halbe Stadt hätte bedeckt werden können

AUS WARSCHAU GABRIELE LESSER

Mit einer „Big Light Show“ lockte vor ein paar Tagen das neue Nationalstadion Polens die Warschauer an die Weichsel. Hatten die eher kritischen Fußballfans der polnischen Hauptstadt die neue Arena bislang noch als „Korbball-Stadion“ verspottet, so überzeugte das rot-weiß leuchtende Raumschiff doch viele. In der Nacht wirkte das zu sphärischen Klängen rot und weiß blinkende Stadion, als würde es jeden Moment abheben und in den Weiten der Nacht entschwinden. Dass die umlaufenden Not-Treppen den Sicherheitscheck nicht bestanden und nun mit einer Stahlkonstruktion gestützt werden müssen, stört kaum einen. Wichtig ist letztlich nur: Das wie ein geflochtener Korb wirkende Nationalstadion Polens mit seinen über 55.000 Plätzen wird rechtzeitig zur EM fertig!

Was die Warschauer allerdings gewaltig wurmt, ist die Abgabe des Freundschaftsspiels Polen gegen Deutschland an Danzig. Eigentlich sollte mit der Begegnung das Nationalstadion eingeweiht werden. Aber wegen des Zeitverzugs beim Bau soll das Spiel nun am Dienstag, dem 6. September, in der neuen Ostsee-Arena stattfinden. Polens Premier Donald Tusk, selbst eingefleischter Fußballfan und aktiver Hobbykicker, inspizierte den „goldenen Bernstein“ schon vor ein paar Wochen. Der gebürtige Danziger lief gleich ein paar Runden auf dem saftig-grünen Rasen und jubelte: „Das ist das schönste Stadion, das ich je gesehen habe.“

Nun droht allerdings neuer Ärger: Der Brandschutz hob wenige Tage vor dem Spiel die rote Karte. Angeblich gebe es Sicherheitsrisiken im Fall eines Brandes. Agnieszka Olejkowska, die Sprecherin des Polnischen Fußball-Verbandes (PZPN), zerstreute die Bedenken. Es handle sich um ein „Missverständnis“. Schließlich hätten in der Ostsee-Arena bereits mehrere Ligaspiele stattgefunden. Die Feuerwehr habe jeweils bis zu 40.000 Fans ins Stadion gelassen. PZPN und DFB gehen fest davon aus, dass das bereits einmal verschobene Spiel diesmal stattfinden werde. Bemängelt wurden die Brandsensoren in der Ostsee-Arena.

Im niederschlesischen Wroclaw (Breslau) freuen sich die Fans bereits auf Sonntag, wenn die architektonisch interessanteste Fußball-Arena unter den vier neuen EM-Stadien in Polen zum ersten Mal ihre Pforten öffnet. Statt der geplanten Truckershow, die um einen Monat verschoben wurde, soll es nun ein Open-Air-Fest mit viel Musik, Probesitzen auf den Tribünen für insgesamt 41.000 Fans und Besichtigung der VIP-Logen geben. Ende 2010 hatte es noch so ausgesehen, als könnte die Uefa Wroclaw als EM-Austragungsort streichen. Als der Zeitverzug bereits 90 Tage betrug und es nicht danach aussah, als könnte die Baufirma den Zeitverlust wieder einholen, kündigte Wroclaws Oberbürgermeister Rafal Dutkiewicz den Vertrag und beauftragte eine neue Firma.

Leicht verspätet, aber fast ein Jahr vor dem EM-Anpfiff 2012, ist nun auch das Wroclawer Stadion fast fertig. Ungewöhnlich an dem klassischen Zwei-Rang-Stadion mit eingeschobener Logenebene ist die Freistellung der Tribünen. Anders als sonst üblich wurden die Nutzflächen nicht kompakt unter die Tribünen geschoben, sondern nach außen verlegt. Dadurch entstanden großzügige Lufträume. Sie und die Verbindungsbrücken vom oberen Rang zum Innenbereich geben dem Bauwerk eine selten anzutreffende Leichtigkeit. Rings um das Stadion entsteht ein Einkaufs- und Unterhaltungszentrum mit dem Schwerpunkt Sport.

In Poznan wurde das bisherige städtische Stadion (Stadion Miejskie) ausgebaut und umfassend modernisiert. Es war als erstes EM-Stadion Polens bereits vor einem Jahr fertig. Poznan hat allerdings mit einer extrem gewaltbereiten Hooliganszene zu kämpfen. Ob es der Messestadt gelingt, die mafiaähnlichen Hooligan-Strukturen noch vor der EM 2012 zu zerschlagen, verfolgen die Polen im ganzen Land mit angehaltenem Atem. Einfach wird es nicht, da die rechtsnationale Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) die Hooligans zu ihren Wahlkampfhelden erklärt hat. Aus dem Gefängnis heraus wird demnächst der Chefhooligan Poznans eine Kolumne in der PiS-nahen Tageszeitung Gazeta Polska veröffentlichen. So zumindest kündigten es die Herausgeber des neuen Blattes an. Für Poznan ist das eine Niederlage. Doch die EM wird erst im Juni 2012 angepfiffen. Noch ist also etwas Zeit.

AUS KIEW JURI DURKOT

Auf dem Ring um Lemberg herrscht ein dichter Verkehr. Es ist keine Autobahn, nur eine Landstraße, vor kurzem neu asphaltiert. Keine Löcher, keine Buckel. Doch die Kolonne zieht sich schleppend von Ost nach West, es ist die Straße, die von Kiew Richtung polnische Grenze führt. Der müßige Blick aus dem Fenster nach rechts lässt erahnen, was sich hier im Sommer 2012 abspielen wird. Die Umrisse des neuen Stadions sind klar zu erkennen. Die Ausfahrt nach Lwiw (Lemberg) ist ausgeschildert. Passt man aber nicht gut genug auf und biegt versehentlich hundert Meter früher rechts ab, ist man schon auf der Baustelle.

Staub, Schlamm, Lärm, Krach – ein typischer Baustellenbetrieb eben. Vor dem Blechtor ein Parkplatz mit den verstaubten Autos der Bauarbeiter und einem ebenso verstaubten großen Infoschild. Das Stadion mit 33.400 Zuschauerplätzen sollte noch Mitte 2011 fertig sein. Anfang September sieht es immer noch nicht danach aus. Trotzdem bleibt der für die EM-2012 zuständige ukrainische Vizepremier Boris Kolensikow optimistisch – das Stadion in Lwiw soll bis spätestens Anfang November fertig sein. Für Mitte November ist hier bereits ein Spiel der ukrainischen Nationalelf geplant.

Egal, was aus der EM im Endeffekt rauskommt, sie ist schon jetzt eine goldene Kuh. Für einige wenige. Es geht um Geschäft im großen Stil – auf Kosten des Staates. Die Auftragsvergabe erfolgt ohne richtige Ausschreibung, die Leistungen und Materialien werden oft zu abenteuerlichen Preisen abgerechnet. In Lwiw hält sich hartnäckig das Gerücht, dass mit dem Schotter, der für den Stadionbau angeblich verwendet wurde, die halbe Stadt hätte bedeckt werden können. Die Kosten für das Stadion in Kiew haben sich während des Baus mehr als verdoppelt, mittlerweile ist es mit 400 Millionen Euro deutlich teuer als die 2005 gebaute Allianz-Arena in München. Dabei weist die Internet-Zeitung „Ukrainska Prawda“ darauf hin, dass der Durchschnittslohn in der ukrainischen Baubranche lediglich rund 280 Euro beträgt. Und das ostukrainische Charkiw hat im Rahmen der EM-Vorbereitungen schon mal Sitzbänke für die U-Bahn-Stationen bestellt – zu einem Stückpreis von über 60.000 Euro. Nachdem der Skandal aufgeflogen ist, kam prompt ein Dementi – es sei ein Missverständnis gewesen, es habe sich lediglich um ein unverbindliches Angebot gehandelt.

Das typische Baugeschäft eben. Ursprünglich hatte man damit gerechnet, das sich der Staat an den Gesamtinvestitionen mit rund 20 Prozent beteiligen wird und der Rest von den Privatinvestoren kommt. Das Verhältnis ist auch heute so, allerdings genau andersrum: Drei Viertel kommen vom Staat, ein Viertel von der Privatwirtschaft. Aus dem Haushalt werden mindestens 30 Milliarden Hrywnja (umgerechnet rund 2,65 Milliarden Euro) in die Vorbereitungen fließen. Nicht nur die Straßen, Flughäfen und die Landebahnen – nur in Charkiw beteiligt sich der örtliche Milliardär und Inhaber des lokalen Fußballklubs Metallist Alexandr Jaroslawskij am Terminalgebäude –, sondern auch die Stadien in Kiew und Lwiw werden aus der Staatskasse finanziert. Dabei sprengt der kreditfinanzierte Größenwahn bisweilen die Grenzen. Im ostukrainischen Donezk wird nunmehr auch die A 380 landen können. Man fragt sich nur, wie sich eine A 380 nach Donezk verirren kann. Der Spaß hat den Steuerzahler rund 175 Millionen Euro gekostet. Das Hauptargument der Regierung: Eine solche Landebahn gebe es sogar in Russland nicht.

Das ansonsten recht arme Land hat sich in eine Baustelle verwandelt. Im westukrainischen Lwiw ist es nicht nur das Stadion. Viele Straßen der denkmalgeschützten Stadt müssen aufwendig saniert werden. Nach der Urlaubszeit hat sich Lwiw in einen einzigen Riesenstau mit fluchenden Fußgängern und hupenden Autofahrern verwandelt. Der Taxifahrer Andrei nimmt das ganze Chaos trotzdem gelassen. Er ist einer der wenigen Fahrern, die Englisch können, so freut er sich schon auf die EM und seine Gäste. Ob es die Ukrainer noch rechtzeitig schaffen mit den Vorbereitungen? Für Andrei ist das kein Problem. Die Griechen hätten es ja bei der Olympiade schließlich auch geschafft. Allerdings brachten die Spiele den Griechen auch einen Berg von Schulden ein, der auch für den heutigen Staatsbankrott mit verantwortlich ist.