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Archiv-Artikel

Vom Hotel in die Zelle

Obwohl er in Deutschland politisches Asyl genießt, sitzt ein Kurde aus Hamburg seit Monaten in spanischer Abschiebehaft. In der Türkei verurteilte ihn ein Militärgericht zu lebenslanger Haft

„Politische Flüchtlinge können nicht gefahrlos durch Europa reisen“

von KAI VON APPEN

Es sollte ein unbeschwerter Urlaub werden, als die Mannschaft des türkischen Fußballclubs Dersimspor aus Wilstorf am 28. Mai nach Mallorca aufbrach: Gefeiert werden sollte die errungene Kreismeisterschaft. Zwei Tage später im Hotel „Kontiki Playa“: Alle Spieler der Mannschaft werden von der Polizei festgenommen, überprüft und wieder freigelassen – bis auf Binali Yildirim. Seitdem sitzt der 34-jährige Kurde in Madrid in Auslieferungshaft an die Türkei. Der Grund: Obwohl Yildirim in Deutschland als politischer Flüchtling anerkannt ist, besteht gegen ihn ein internationaler Haftbefehl, den Interpol Ankara ausgeschrieben hat (taz berichtete).

Vorgeworfen wird dem Kurden, Anfang der 90er Jahre an sechs Anschlägen beteiligt gewesen zu sein, die der linken Organisation Dev Sol („Revolutionäre Linke“) zur Last gelegt werden. 1996 war Binali in der Türkei verhaftet und zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden.

Binalis Geständnis sei „unter Folter erpresst und das Urteil von einem Militär-Schnellgericht gefällt worden“, sagt der Jurist und ehemalige GAL-Bürgerschaftsabgeordnete Mahmut Erdem, der mit dem Inhaftierten befreundet ist. Und es ist keine Seltenheit, dass Urteile türkischer Sicherheitsgerichte vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aufgehoben werden, da diese Prozesse in der Türkei nicht rechtsstaatlich verlaufen.

Nach Angaben seines Bruders sympathisierte Binali auch nicht mit Dev Sol, sondern mit der maoistischen Kommunistischen Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML), die in der Türkei verboten ist. Als er 2002 in eines der berüchtigten Isolationsgefängnisse („F-Typ“) verlegt wurde, beteiligte er sich am Hungerstreik von 500 politischen Gefangenen. Als er nach 78 Tagen „Todesfasten“ dem Tode nahe war, wurde seine Haft für ein halbes Jahr ausgesetzt, um ihn in einer Reha-Klinik wieder aufzubauen. Binali flüchtete und reiste nach Hamburg, wo seine Brüder lebten. Wegen der Verfolgung durch das türkische Regime genießt Binali in Deutschland inzwischen politisches Asyl.

Dieser Asylstatus schützt im Ausland nicht vor einer Festnahme zwecks Abschiebung, auch wenn den Betroffenen erneut Haft und Folter erwarten. Alle Interventionen zugunsten Binalis halfen bislang nichts. So hatte der Hamburger Linkspartei-Bundestagsabgeordnete Norman Paech das Auswärtige Amt bewegen können, dass die Deutsche Botschaft bei den spanischen Behörden intervenierte und die Inhaftierung auf Mallorca immerhin als Verstoß gegen die Genfer Menschenrechtskonvention geißelte.

Selbst als das spanischen Justizministerium aktiv wurde, beharrte das zuständige Gericht „auf eine eigene Entscheidung“, berichtet Yildirims Hamburger Anwalt Björn Stehn. Für die nächsten Wochen ist zwar eine erneute Anhörung geplant, „es ist aber nicht zu erwarten, dass er freigelassen wird“, sagt Stehn. Denn die türkischen Behörden hätten noch etwas Zeit, die Auslieferung zu begründen, und das spanische Gericht zeige sich wenig Willens, bis dahin zu entscheiden.

Ein grundsätzliches Problem ist Stehn zufolge, „dass anerkannte politische Flüchtlinge glauben, gefahrlos in ganz Europa herumreisen zu können“. Diese Erfahrung musste auch die kurdische Exil-Politikerin Sakine Cansiz machen, die in Frankreich politisches Asyl besitzt. Als sie im März Deutschland besuchte, wurde sie von einem 15-köpfigen Kommando der Hamburger Polizei in einem Café verhaftet. Auch gegen Cansiz lag ein internationaler Haftbefehl wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ vor, da sie der Kurdischen Arbeiterpartei PKK angehören und zwischen 2002 und 2006 in Guerilla-Lagern tätig gewesen sein soll.

Das Hanseatische Oberlandesgericht befand jedoch die Begründung des Auslieferungsbegehrens durch das türkische Justizministerium als zu dürftig: Die vorgelegten Dokumente erfüllten demnach in keiner Weise die Mindestanforderungen an europäisches Recht und enthielten keine konkreten Beweise der ihr zur Last gelegten Taten. Nach fünf Wochen Auslieferungshaft kam Cansiz wieder auf freien Fuß, den internationalen Haftbefehl hob das Gericht auf.