: „Keine Bürgerwehren zulassen“
DROGEN Als Yaotzin Botello aus Mexiko nach Berlin kam, war er schockiert, dass hier in der Öffentlichkeit gekifft wurde. Im Görlitzer Park habe die Polizei versagt, meint er – und fordert die Einführung von Coffeeshops
■ 40, ist Korrespondent der mexikanischen Zeitung Reforma. Bereits 2002 kam er mit dem Austauschprogramm IJP nach Berlin.
PROTOKOLL ANTJE LANG-LENDORFF
„Als ich vor zehn Jahren nach Berlin gekommen bin und auf der Straße zum ersten Mal Marihuana gerochen habe, war ich total überrascht: So viel Freiheit gibt es in Berlin? Ich fand das schockierend.
In Mexiko haben wir keinen Görlitzer Park, wo man kaufen kann, was man will. Drogen sind komplett verboten. Drogen tauchen im Alltag, auf der Straße normalerweise nicht auf. Das ist ein großer Unterschied. Es gibt natürlich trotzdem Leute, die kiffen. Das macht man aber in Privatwohnungen, nicht öffentlich. Auf Hippiepartys wird geraucht, in der linken Studentenszene oder in bestimmten Clubs. Aber nicht einfach so auf der Straße.
Schon wenn man eine kleine Menge Drogen bei sich hat und erwischt wird, kommt man ins Gefängnis. In Mexiko hat man Angst vor der Polizei, in den Gefängnissen gibt es Folter. Man will deshalb unter keinen Umständen festgenommen werden.
Ich habe bald gelernt, dass die Gesetze hier andere sind. Dass man eine gewisse Menge Cannabis bei sich tragen darf. In Berlin riecht man das ständig. Das macht den Drogenkonsum sichtbar. Deshalb wirkt das wie ein großes Problem, wie man am Görlitzer Park sieht.
Der Drogenhandel in Mexiko hat dagegen eine ganz andere Dimension. Die Handelswege von Südamerika verlaufen über Mexiko in die USA. Der Handel hat in den letzten 20 Jahren sehr zugenommen. Es kamen Präsidenten, die den Krieg gegen die Drogen ausriefen. Die Bosse der drei oder vier großen Drogenbanden wurden festgenommen, es gab eine Zersplitterung.
Je mehr kleine Drogenbanden entstanden, desto mehr Schießereien gab es, weil die verschiedenen Gruppen um die Territorien kämpften. Inzwischen hat dieser Drogenkrieg die Zivilgesellschaft erreicht. Auch Journalisten und Menschenrechtsvertreter werden heute entführt und getötet, ihre Familien erpresst. Erst kürzlich sind ja 43 Studenten im Bundesstaat Guerrero verschwunden.
Ich selbst habe noch nie eine Pistole zu Gesicht bekommen. Meiner Familie ist bisher auch nichts zugestoßen, wir hatten Glück. Es kann einem in Mexiko schon passieren, dass man zur falschen Zeit am falschen Ort ist und so zum Opfer dieses Drogenkriegs wird. Das ist in Berlin anders. Wobei ich nachts auch nicht mehr durch den Görlitzer Park fahre, weil ich zu viele Geschichten gehört habe von Überfällen und Messerstechereien.
Natürlich ist die Dimension des Drogenhandels in Mexiko und in Berlin eine ganz andere. Trotzdem sollte man die Debatte über den Görlitzer Park ernst nehmen. Es geht da zwar nur um einen kleinen Kiez. Aber auf Berlin schaut die ganze Welt. Wenn in Kreuzberg etwas passiert, wird überall darüber berichtet. Weil die Politik hier beispielhaft sein könnte. Weil hier mit Coffeeshops eine andere Drogenpolitik gemacht werden könnte.
Härteres Agieren?
Am Anfang, als ich nach Berlin gekommen bin, habe ich mir gewünscht, dass die Polizei härter agiert. Dass sie jeden Drogendealer festnimmt. Dann hätten wir jetzt ja auch tatsächlich nicht so viele Dealer, weder im Görlitzer Park, noch in den Nebenstraßen.
Inzwischen denke ich, dass ein Coffeeshop, wie ihn die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann, vorschlägt, die bessere Lösung wäre. Man hätte die Kontrolle über die Drogen. Es gäbe andere Probleme, die mit dem Dealen einhergehen, Kriminalität, Gewalt. Der Staat würde außerdem die Steuer bekommen.
Im November haben ja der Besitzer einer Shishabar in der Skalitzer Straße und ein anderer Mann zwei Dealer niedergestochen. Der Barbesitzer hatte vorher oft die Polizei gerufen, aber das hat ihm nichts gebracht. Wenn die Polizei nicht das Recht durchsetzt, machen die Leute Selbstjustiz.
In Mexiko haben sich in einigen Städten Bürgerwehren gebildet, weil die Polizei dort versagt hat oder gar nicht mehr anwesend war. Als ich das vom Görlitzer Park gehört habe, dachte ich: Jetzt versagt die Polizei auch hier. Die Razzien haben ja nichts gebracht. Man sollte da sehr aufmerksam sein. Sonst fangen die Leute an, sich selbst zu wehren. Das darf man nicht zulassen.