: Flucht vor sich selbst
FREMDFÜHLEN In Osnabrück wird Azar Mortazavis zweites Stück „Sammy und die Nacht“ uraufgeführt. Das erzählt anhand einer scheiternden binationalen Liebe eindrucksvoll naturalistisch vom Fremdsein im eigenen Leben
VON JENS FISCHER
Daheim, aber nicht zu Hause. Azar Mortazavi kennt das Fremdfühlen als Deutsche in Deutschland. 1984 als Tochter einer Deutschen und eines Iraners geboren, wuchs sie in der rheinland-pfälzischen Provinz auf, lebt heute in Berlin. Ganz in ihrer ersten Heimat angekommen – gleichzeitig das empörend störende Empfinden, nicht ganz dazuzugehören. Und das schmerzhafte Wissen, im Iran, ihrer zweiten Heimat, noch nie dazugehört zu haben.
„Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus“ hat Mortazavi in Hildesheim studiert und reizt seither sehr erfolgreich ihre bipolare Biografie für die Schriftstellerei aus. 2010 gewann sie den Else-Lasker-Schüler-Dramatikerpreis und das 2012 in Osnabrück uraufgeführte Stück „Ich wünsch mir eins“ wurde zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen.
Porträtiert wird darin Leila, ebenfalls Tochter einer Deutschen und eines Mannes aus „Arabien“, die sich nach diesem Land sehnt, in dem sie noch nie war. Ein Kammerspiel, das postmigrantische Themen wie binationale Partnerschaften, kulturell multiple Identitäten, Sehnsucht nach Dazugehörigkeit anreißt – und vehement den Kinderwunsch der jungen Frau behandelt: ein verzweifelter Versuch, sich zu verwurzeln. Ein Ereignis war es, wie leidenschaftlich sich das Darstellerduo in den Text hineingrub und schonungslos beherzt in den Rollen der Leila und ihres angehimmelten „alten Sacks“ George verausgabte.
Inszeniert hat das gierige Umschlingen zweier Verlorener Osnabrücks Schauspieldirektorin Annette Pullen: voller Empathie, frei von theatralem Brimborium. Beeindruckt von der Energie, die sich aus den schroffen Kurzszenen entwickelte, gab sie sofort ein neues Stück in Auftrag: Am heutigen Samstag bringt Pullen Mortazavis „Sammy und die Nacht“ zur Uraufführung.
Auch dieser Text wechselt episch distanzierend zwischen verknappten inneren Monologen und scheu ihre Aussagen umkreisenden Kürzest-Dialogen. Erneut spielt alles in einem eher schäbigen Mietshaus, mit einer Karikatur-Deutschen als Nachbarin der Hauptfiguren. Aber dieses Mal hat der Mann eine Flüchtlingsgeschichte. Omid ist während der islamischen Revolution von 1979 und vor dem Krieg zwischen Iran und Irak nach Deutschland zum Studieren geflohen.
Und ist nun „zu feige für jede Nachricht“ aus seinem Land. Das Telefon nimmt er nicht ab – aus Angst, es würde von Not, Hilferufen, Tod seiner Angehörigen berichtet. Daher großes Entsetzen, als der Fernseher angeschaltet wird: „Eine Sondersendung, viele, viele Tote, sie nennen eine Zahl, ich halte mir die Ohren zu, militärisch unterlegen, sagen sie, also werden Kinder geopfert, ich drücke meine Hände fest auf meine Ohren, ich summe etwas.“
Von Schuld getrieben wirkt Omid fast paralysiert, flüchtet in die Gesellschaft anderer Exilanten, wo über Deutschland gesagt wird: „Dieses Land ist still. Die Stille setzt sich in deinen Kopf, wenn du nicht aufpasst, und da bleibt sie dann sitzen, wenn du nicht zu laufen anfängst.“ Omid läuft – vor sich selbst weg. Und bringt so seine deutsche Freundin Maria zur Verzweiflung: die Leerstelle, die Omids abwesende Familie hinterlassen hat, kann sie nicht füllen.
Mortazavis Clou: Das ungeborene Kind des Paares bekommt einen Monolog, reflektiert die Situation seiner Eltern und ahnt genau das Lebensgefühl der Leila aus „Ich wünsch mir eins“ voraus: in weiter Ferne so nah sich zu fühlen, in großer Nähe so fern. Migration setzt sich so als generationenlanger Abschied fort. Omid fürchtet genau das: dass seine Traumata nachwirken, die eigene Zerrissenheit sich vererbt. So ist das Auseinanderbrechen der Kleinfamilie nicht zu verhindern.
„Obwohl die Figuren so aneinander hängen, können sie nicht anders, als aneinander zunehmend vorbeizureden, vorbeizurennen, vorbeizuleben“, erklärt Produktionsdramaturgin Maria Schneider. Sehen wir also der Liebe beim Scheitern zu? „Leider ja“, antwortet Schneider. „Aber wir haben bei den Proben alles getan, dagegen anzukämpfen: die Liebe total zu unterstützen, die körperliche Anziehung zu betonen und dieses unbedingte Wollen zu zeigen, zueinanderzugehören.“
Vorgaben haben Schneider und Pullen der Autorin für das Auftragswerk keine gemacht, es von der Roh- bis zur Spielfassung aber als Lektorinnen begleitet. „Beim ersten Stück waren wir noch recht unsicher mit der reduzierten Sprache“, sagt Schneider. „Aber dann haben wir das jetzt genutzte Grundvertrauen gewonnen, die Worte zum Schillern bringen und ihre totale Wucht entwickeln zu können.“
Und so sind Mortazavis Stücke tatsächlich davor gefeit, gefühlig, sentimental und kitschig zu wirken. Weil sie die Emotionalität temperamentvoll annehmen, erzählen sie eindrucksvoll naturalistisch vom Fremdsein im eigenen Leben.
■ Premiere: Sa, 24. 1., 19.30 Uhr, Theater Osnabrück; nächste Aufführungen: Mi, 28. 1., Sa, 31. 1., Mi, 4. 2., Do, 12. 2., Di, 17. 2.