: „Ich muss einen gewissen Fanatismus spüren“
FILMPRODUKTION Der Katalane Luis Miñarro spricht über das Filmemachen in Krisenzeiten, Tricks mit der Filmförderung und davon, wie schön es ist, dem Gras beim Wachsen zuzusehen
■ Luís Miñarro kam 1949 in Barcelona zur Welt, arbeitete als Filmkritiker für die Magazine Destino und Dirigido und war Mitbegründer der Filmclubs Arts und Mirador, bevor er 1995 die Produktionsfirma Eddie Saeta ins Leben rief. Die hat zwei Zweige: Zum einen macht sie Werbung, zum anderen steht sie für ein ästhetisch anspruchsvolles, radikales Kino und ist damit zurzeit sehr erfolgreich, was Festivalteilnahmen und Kritikerwertschätzung angeht. Filme von Albert Serra, José Luis Guerín, Manoel de Oliveira und Apichatpong Weerasethakul wurden von Eddie Saeta produziert.
INTERVIEW THOMAS ABELTSHAUSER
taz: Herr Miñarro, Sie hatten bereits eine Karriere als Werbefilmer hinter sich, als Sie 1996 anfingen, Spielfilme zu produzieren. Wie hat sich die Situation in den letzten Jahren verändert?
Luis Miñarro: Wir sind an einem sehr kritischen Punkt, was Kultur angeht, in ganz Europa. Mit der Finanzkrise als Ausrede ist es sehr leicht, Kulturförderungen zu kürzen. Hier in Spanien droht uns gerade eine Kürzung der Fonds, auf die ich mit meinen unkommerziellen Filmen angewiesen bin. Das spanische Fernsehen hat keinen der von mir produzierten Filme gekauft, weder Manoel de Oliveiras letztes Werk noch den Goldene-Palme-Gewinner „Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben“, nicht einmal die spanischen Regisseure wie Albert Serra. Sie wollen diese Filme nicht, und das macht es so schwer, sie finanziert zu bekommen.
Gibt es eine Alternative zum Vorverkauf der Fernsehrechte?
Internationale Koproduktionen wie im Fall von „Uncle Boonmee“, an dem fünf Länder beteiligt waren. Im Verbund mit anderen kann man Kräfte bündeln und auch Förderungen außerhalb Spaniens nutzen. Aber trotz Goldener Palme haben wir mit „Uncle Boonmee“ kaum etwas verdient. Das sind prekäre Filme verglichen mit den industriellen Großproduktionen. Man kann damit natürlich tolle Kritiken auf Festivals bekommen und sie werden in den Kinematheken gezeigt, aber fast gar nicht in traditionellen Kinos. Das macht es solchen Filmen immer schwerer, ihr Publikum zu finden. Und mir, sie zu finanzieren.
Wie funktioniert das Filmförderungssystem in Spanien?
Es gibt die Subventionen des Kulturministeriums, einmal als Förderung bevor ein Film entsteht, die bekommen aber vielleicht zehn Prozent der eingereichten Projekte. Die zweite Förderung ist gekoppelt an das Einspielergebnis, was natürlich nur für große Filme zutrifft, weil man ein bestimmtes Limit erreichen muss, was Arthousefilme nie schaffen. Sie nennen es Kulturförderung, aber in Wirklichkeit ist es eine Industrieförderung.
Sind die Fernsehsender zur Filmförderung verpflichtet?
Die spanischen Privatsender müssen drei Prozent ihrer Werbeeinkünfte in Filme investieren, aber das tun sie natürlich hauptsächlich in ihre eigenen Kommerzfilme. Die Öffentlich-Rechtlichen sollten theoretisch ein breiteres Spektrum fördern, aber das tun sie nicht wirklich. Es ist ein Spießrutenlauf, und die Herausforderung ist es, seiner Linie treu zu bleiben. Ich liebe Filmkunst und ich habe kein Interesse an dieser Art von Kommerzkino.
Sie produzieren regelmäßig Filme ohne ein fertiges Drehbuch. Das dürfte doch die Aussicht auf Filmförderung nicht gerade erhöhen.
Man muss viel Überzeugungsarbeit leisten. Aber ich glaube eben nicht daran, dass das Drehbuch schon der Film ist. Ich bevorzuge eine gute Idee, vor allem, wenn mir die Sicht des Autors und sein Konzept gefällt. Ich muss einen gewissen Fanatismus spüren. Mechanische Regisseure langweilen mich. Aber auf diesem Gebiet bin ich konkurrenzlos, weil kein anderer Produzent so arbeiten will. Keiner ist so lebensmüde.
Welchen Stellenwert hat dabei Ihre Werbeagentur?
Sie wird immer unwichtiger, weil ich so viel mit den Filmen auf Festivals unterwegs bin und kaum Zeit für anderes habe. Früher habe ich mit den Einnahmen zum Teil meine Filme finanziert, aber durch die Finanzkrise ging das Geschäft stark zurück.
Sie kämpfen auch mit allerlei Tricks. Bei „Finisterrae“, in dem zwei russisch sprechende Geister auf dem Jakobsweg wandern, haben Sie den Abspann vorlesen lassen, um so den katalanischen Sprachanteil zu erhöhen – Voraussetzung für eine Regionalförderung.
Der Witz ging leider nach hinten los: Wir haben die Förderung gar nicht bekommen! Begründung war, dass der Abspann nicht zum kreativen Teil eines Films gehört. Was werden die spanischen Neuwahlen im November verändern, bei denen voraussichtlich die rechtskonservative Volkspartei gewinnen wird?
Ich habe nicht die geringste Ahnung, was passieren wird. Ich finde es sehr irritierend, wie leicht es die Sozialisten den Konservativen machen, diese Wahlen zu gewinnen.
Welchen Standpunkt vertritt die Volkspartei beim Thema Kultur?
Sie interessieren sich nicht sonderlich dafür und vielleicht lassen sie uns deshalb in Ruhe. Das hoffe ich zumindest. Aber es hängt natürlich davon ab, wer Minister wird. Vielleicht denken sie auch, das ist nur was für Verrückte und streichen alles. Es ist ein sehr schwieriger Zeitpunkt. Nach den beiden aktuellen Projekten weiß ich nicht, wie es weitergeht.
Fühlen Sie sich im Ausland anerkannter als in Spanien?
Vor allem in Frankreich strömen zehnmal so viele Zuschauer in meine Filme wie hier in Spanien. Das ist schön für den französischen Koproduzenten, ich habe da leider finanziell nichts davon. Aber ich sehe, dass mein Einsatz geschätzt wird. Das ist Belohnung genug.
Und die Presse?
Die Fachpresse wie Cahiers du Cinéma findet mich meist sehr gut. Bei den Tageszeitungen gibt es dagegen Kritiker, die einen großen Bogen um meine Filme machen, weil sie „nicht dem Gras beim Wachsen zuschauen wollen“. Ich finde aber, es kann sehr schön sein, dem Gras beim Wachsen zuzuschauen.