piwik no script img

HORROR DAHEIM UND IM HEIMEingezogene Kinder

VON HELMUT HÖGE

Der Westberliner Zoo kann sich gerade vor Besuchern nicht retten: Alle wollen das Orang-Utan-Baby Rieke sehen. Seine Mutter Djasinga wollte es nach der Geburt nicht „annehmen“, wie man so sagt. Vermutlich, weil sie ihm ein Leben in Gefangenschaft ersparen wollte.

Rieke kommt demnächst in ein Waisenhaus in England. In den Zoologischen Gärten passiert so etwas quasi täglich. Öfter noch nehmen deutsche Jugendämter Kinder von ihren Müttern und/oder Vätern weg – unter anderem, wenn es so aussieht, als würden diese ihren Nachwuchs vernachlässigen. Die so eingezogenen Kinder kommen entweder in ein Heim oder auf eine Pflegestelle. Beides ist mit der Privatisierung öffentlicher Einrichtungen ein lukratives Geschäft geworden. Für zwei Kinder bekommt eine Pflegefamilie monatlich 1.800 Euro netto, manche haben sechs Pflegekinder.

Wenn die Jugendämter dem drängenden Bedarf dieser „freien Träger“ nicht nachkommen – und ein vernachlässigtes Kind bei seinen Eltern wohlmöglich stirbt, spricht die Presse von „Versagen“ der Aufsichtsbehörde und „überforderten Jugendämtern“.

Vor dem Zusammenbruch

Die taz wird dagegen eher auf „überreagierende Jugendämter“ gestoßen – in Form elterlicher Klagen und Leiden, weil man ihnen ihre Kinder wegnahm. Nicht selten sind es alleinstehende Mütter, die deswegen kurz vor dem Zusammenbruch stehen, weil sie alles versucht haben, um ihre Kinder wiederzubekommen – vergeblich.

Seit einiger Zeit soll es besonders viele alleinerziehende türkische Mütter treffen. Das wäre dann auch noch ein übler Fall von Zwangschristianisierung, wie es zum Beispiel der kanadische Staat mit den Indianerkindern praktizierte. Die deutschen Mütter und Väter, deren Kinder vom Staat enteignet wurden, gehen in ihrer Verzweiflung und Wut an die Öffentlichkeit.

Weil aber die Presse nicht laufend über Einzelfälle berichten kann, bei denen Fehlverhalten eines Jugendamtes vorliegen soll, artikulieren sich die Betroffenen im Internet. Es gibt zig Foren, sie heißen „Kinderklau“, „kinder-in-not“, „kindeswohl-ist-kindesleid“ und so weiter. In ihnen greifen betroffene Eltern die Jugendämter, -gerichte, -gerichtspräsidenten, -senatoren etc. an – mit Faksimiles von Behördenbriefen, Mitschnitten von Telefongesprächen mit Amtsleitern und ausführlicher Darstellung des „Kinderraubs“.

Bei der taz meldete sich eine Malerin aus Spandau, deren geschiedener Ehemann dafür gesorgt hatte, dass ihre Söhne im Heim landeten. Sie selbst bat in einer psychiatrischen Anstalt um psychologische Hilfe, nach einer Ferndiagnose wollte der Chefarzt sie nicht wieder freilassen. Die Friedenauer Bühnenbildnerin Jeanette Schirrmann, der man gleichfalls ihre zwei anthroposophisch erzogenen Söhne wegnahm, um sie in einem „wahren Horrorheim großzuziehen“, meint: „Während die Grünen und die SPD dem Staat mehr vertrauen als den Familien, ist der CDU und den Rechten eher die Familie heilig.“

Deswegen werden die ihrer Kinder beraubten Eltern auch von Eva Herman und ähnlichen rechtskonservativen Promis unterstützt, daneben greift die Junge Freiheit gerne solche Fälle auf. Auch Jeanette Schirrmann, einst die jüngste Hausbesetzerin Westberlins, die nach dem „Raub“ ihrer Kinder dazu noch obdachlos wurde, ist darüber zu einer halben CDUlerin geworden. Sie sieht sich einer regelrechten „Kinderentzieher-Mafia“ gegenüber.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen