: Die Milch-Macht
Mit einer Party in Ostfriesland feiern Milchbauern aus ganz Deutschland das historische Ereignis, dass sie momentan kostendeckend arbeiten. Und fordern dauerhaft faire Preise
AUS SANDSTEDT, IHLOW & UMZU BENNO SCHIRRMEISTER
Allmählich kommt die Party in Schwung. Sicher, einige Paare hatte es schon früh auf die Tanzfläche gezogen. Und die Stoapfälzer Spitzbuam bemühen sich schon seit viertel neun redlich um Stimmung. Dezibelstark knallen ihre Medleys aus Dreiviertel-Taktern, Voralpenrock und Zoten durchs Festzeltdach, hinaus in den sternklaren Nachthimmel über Moormerland: Gibt es Nachtfrost?
Die meisten Besucher aber hatten sich im Eingangsbereich gedrängt, an den Stehtischen und beim Tresen, wo ein einsames Gasöfchen Wärme ins 2.000-Mann-Zelt pumpt. Bis dann Thomas Grupp von der Besamungsstation München Grub eine Rede gehalten hat. Und Romuald Schaber, der Vorsitzende des „Bundes deutscher Milchviehhalter“ hat gesprochen, der sich, etwas mehr historisches Fingerspitzengefühl wäre natürlich schön gewesen, BDM abkürzt.
Für die Ansprachen sind alle nach vorne gekommen, haben sich an die Tische gesetzt. „Nie mehr unter 40 Cent!“ hat Schaber in den Saal gerufen, und der Beifall war stark und noch stärker ist er geworden, als er die Anekdote erzählt hat, von sich, zu Hause, Schaber kommt auch aus Bayern, wo der Bub die Mutter gefragt hat, Mama, warum haben wir Angst vor mehr Geld? „Der Junge“, sagt Schaber jetzt, „hat’s begriffen“. Es wird, auf die Tische getrommelt „Jawoll“ gerufen, „So ist das!“ Und dann müssen die Spitzbuam die Hymne anstimmen, das ist dieses Handballlied von der Kölner Gruppe De Höhner. „Wenn nicht jetzt, wann dann“, heißt der Refrain, „wenn nicht du, wer sonst“, und alle singen mit, bestimmt auch Martin Morisse, der sich irgendwo ins Gedränge geschoben hat, mit seiner Frau, nicht mehr zu sehen. Er ist halt kein Riese.
Es ist eine Ü-40-Party, die erste bundesweit, und auch wenn der Bus aus Nordfriesland nicht gekommen ist, sind trotzdem Bauern von da oben da und einige sogar aus dem Allgäu. Ü-40 steht für „über 40 Cent“. 40 Cent, das ist die magische Schwelle. Und mittlerweile gibt es Molkereien, die sie zahlen, pro Liter Milch, genug also, damit der Verkauf die Produktionskosten wieder einspielt. In Schleswig-Holstein lag der Durchschnittspreis im vergangenen Monat sogar bei 42 Cent. „Man muss ja auch feiern können“, hatte Morisse am Telefon die Festivität angekündigt, und gelacht, mit einem Lachen, bei dem die Bronchien eine wichtige Rolle spielen. Morisse ist Vorstandsmitglied beim BDM, und der hatte die 40 Cent als ein Ziel ausgegeben.
Die Party ist ein Endpunkt. Begonnen hat der Tag für Morisse auf seinem Hof in Wersabe, einem Ortsteil von Sandstedt in der Wesermarsch – 6 Uhr früh aufstehen, Kaffee, Melken. Aufgebrochen ist er dann am frühen Nachmittag, um Grupp vom Bremer Flughafen abzuholen, und von dort ist es dann weiter nach Ostfriesland gegangen. „Für einen Milchbauern“, hatte Morisse vorher am Küchentisch erklärt, „ist alles, was er nicht mit dem Güllefass bereisen kann, Ausland.“ Und gelacht.
Morisse hat im Laufe des Jahres viel Auslandserfahrung gesammelt: Im Emsland ist er aufgetreten, in der Nordheide, in Tarmstedt und bei Bersenbrück. Und überall hat er für den BDM getrommelt. Und vergangenen Mittwoch, als die Milchbauern 16 Plastikkühe vorm Reichstag aufgebaut haben, ist er natürlich auch dabeigewesen, Ehrensache. Denn der gestiegene Preis, schön und gut. Aber wer sagt denn, wie lange das hält? Die Bauern haben darauf keinen Einfluss: Sie liefern einen Monat lang die Milch, und danach wird ihnen mitgeteilt, wieviel sie dafür bekommen. „Wir wollen den Systemwechsel“, sagt Morisse, „40 Cent müssen als Mindestpreis garantiert werden.“ Und das ist kein Scherz.
Und keine Einzelmeinung: Ende der 1990er hat sich der BDM gegründet. Aktuelle Mitgliederzahl: 29.000, Organisationsform: basisdemokratisch. Momentan läuft eine Urabstimmung: Man will den Forderungen mit einem Lieferboykott Nachdruck verleihen. 51 Prozent der Milchmenge hat man sich als Quorum gesetzt, „das bekommen wir“, sagt Morisse. Einen solchen Milchlieferstopp hat es in Deutschland noch nie gegeben.
Anfangs war der Verein belächelt worden. Das ist vorbei. „Die Organisation ist ernst zu nehmen“, sagt Nordmilch-Sprecher Hermann Cordes, ob er als politisches Instrument funktioniert, müsse er aber noch beweisen. Einen Basispreis garantieren könne man aber nicht. Momentan zahlt Nordmilch 36 Cent, „bis Ende des Jahres“ strebe man „die 40 Cent an“ werde das neue Jahr dann aber „wieder vorsichtig beginnen“ – sprich: Mit 38 Cent.
Manche, die mit der Milch Geld verdienen, reagieren gereizter: „Die Milchbauern müssen auf dem Teppich bleiben“, pupte es nach der Berliner Bauerndemo am Mittwoch aus dem Milchindustrie-Verband. „Die Preise für Milchprodukte“, so der MIV-Vorsitzende Eberhard Hetzner „werden durch Angebot und Nachfrage sowie den internationalen Wettbewerb bestimmt“, und warnte vor „Maßlosigkeit und Realitätsferne“. Aber ist es realistisch ein Produkt anzubieten, dessen Herstellung mehr kostet, als es einspielt?
Über dem Hof hängt schwer der Duft von süßlich vergärendem Gras: Die Kühe, durchs Gitter gebeugt, fressen geräuschvoll. „Landwirtschaft hat sich geändert“, sagt Morisse. Es klingt wie eine Entschuldigung: Um 150 Kühe auf die Weide zu treiben bräuchte man jedes Mal mehr als vier Personen, und das, wo Morisse selbst immer weniger für den Betrieb da ist, der Sohn ist erwachsen, er wird den Hof übernehmen, der Übergang hat schon begonnen. Der Enkel greift auch schon zum Besen, und fegt den Hof, unaufgefordert, der Enkel ist fünf. Irgendwie ist es ganz normal, dass Kinder und Großeltern im Bauernhof gegen Kost und Logis mitarbeiten. Auch im 21. Jahrhundert.
Morisse ist zwar erst 55 Jahre alt, aber das Ehrenamt verschlingt Zeit, in manchen Wochen 50 Stunden, und zwar hätten die Vorstandsmitglieder Anrecht auf das Geld für eine Hilfskraft, „aber das nimmt keiner in Anspruch“, sagt er, „da werde ich nicht der erste sein.“ Der Hund wedelt.
Die große Küche. Eine Sahnehaut. Die Milch schwappt im roten Blechtopf, ein Tropfen nur schwebt als helle Wolke durch den Kaffee. Dass der Milchpreis dieses Jahr so hoch ist, hängt mit dem Wetter in Australien und Argentinien zusammen. Zu garantieren, dass er künftig die Produktionskosten deckt, hieße die Welthandelsabkommen zu verletzen. Sie mit einem Außenschutz auszustatten. Dicke Bretter. „Das ist uns klar“, sagt Morisse. „Das ist, was wir wollen“, sagt er, „wir kleinen Milchbauern.“
Vorm Festzelt: Man sucht die Schuldigen, klar. Aldi? Die seien „nicht einmal die schlimmsten, Edeka mache viel mehr Druck, und die Genossenschaften…! Und der Bauernverband! „Der Boykott“ sagt der Bauer aus Fischerhude zum Bauern aus Thedinghausen, „ist unsere einzige Chance.“ Drinnen klirren die Gläser, die Brathändl rotieren, die Tanzfläche ist voll, und als der Zinnbauer, Alois von den Spitzbuam ins Mikro plärrt, dass die Glasln hoch! zu halten sein, da werden die Krüge tatsächlich gen Festzelthimmel gestemmt. Es ist 22 Uhr. Und die Party hat gerade erst begonnen.