piwik no script img

Archiv-Artikel

Die Ehre eines Großmauls

ARABISCHES KINO Von erfundenen Hochzeiten, Tarzan in der Nachbarschaft und vom Arabischen Frühling: Heute beginnt das arabische Filmfest Alfilm. Auch Klassiker des ägyptischen Kinos spielen dabei eine Rolle

VON LUKAS FÖRSTER

Was kann das Kino noch über ein historisches Ereignis sagen in einer Zeit, in der sich Amateurbilder fast in Echtzeit über das Internet ausbreiten? Der ägyptische Omnibusfilm „18 Days“ legt nahe, dass es zumindest etwas Distanz benötigt. Kurz nach den Protesten auf dem Tahrirplatz in Kairo und dem Sturz Husni Mubaraks abgedreht und schon im Mai, rechtzeitig für die Premiere in Cannes fertiggestellt, versammelt „18 Days“ zehn Miniaturen junger ägyptischer RegisseurInnen, die in der Mehrheit zwischen braven Filmschulklischees und schwerfälligen Allegorien versanden; während der Revolution ist der Revolutionär allein, aber auch vor Panzern ist Liebe möglich.

Deutlich interessanter ist „Forbidden“ von Amal Ramsis, ein vorrevolutionärer Film. Genauer gesagt wurde die Dokumentation über die zahlreichen expliziten und impliziten Verbote in der ägyptischen Gesellschaft gerade zu Ende geschnitten, als die Demonstranten den Tahrirplatz besetzten. Im Schutz der eigenen Wohnung sprechen Männer und (vor allem) Frauen freimütig mit Ramsis über Zensur, Sittlichkeitsgesetze, Parteiverbote und polizeiliche Willkür. Während eines Ausflug zur Grenze zum Gazastreifen hört man allerdings auch einen gerade angesichts des Sturms auf die israelische Botschaft in der ägyptischen Hauptstadt im September beängstigenden Schlachtruf: „Um Jerusalem befreien zu können, müssen wir zuerst unser eigenes Land befreien!“

Kino im Café

Es verwundert nicht, dass der Arabische Frühling für die diesjährige Ausgabe des arabischen Filmfestival Alfilm, das vom 2. bis 10. November im Babylon Mitte, in den Kinos Eiszeit und Rollberg, im HAU, in der ifa-Galerie und in der Bar Al Hamra stattfindet, ein wichtiger Bezugspunkt ist. Die gesteigerte Aufmerksamkeit, die dem Alfilm dieses Jahr sicher sein dürfte, soll allerdings auch dafür genutzt werden, das Filmschaffen der arabischen Staaten in seiner ganzen Breite sichtbar zu machen.

Der tunesische Dokumentarfilm „VHS – Kahloucha“ stellt ein Stück arabisches Kino vor, das selbst in den umfassenden Filmografien kaum auftauchen dürfte. Moncef Kahloucha ist ein Maverick des No-Budget-Films, seit Mitte der Neunziger dreht er in einem Arbeiterviertel der Provinzstadt Sousse mit ein paar Freunden und einer wuchtigen Videokamera Abenteuerstreifen, die in den Cafés der Nachbarschaft öffentlich vorgeführt werden. „VHS – Kahloucha“ folgt dem cinephilen Autodidakten während der Dreharbeiten zu dessen neuem Film „Tarzan of the Arabs“. Wie nebenbei entsteht dabei ein liebevoll gezeichnetes Porträt eines von Jugendarbeitslosigkeit und Kriminalität gezeichneten Stadtteils.

Eine andere Spur in die Filmgeschichte führt zu El Hedi Ben Salem M’barek Mohammed Mustafa, dem ehemaligen Geliebten Rainer Werner Fassbinders, der als Ali in „Angst essen Seele auf“ bekannt wurde, später nach einer Messerstecherei aus Deutschland flüchtete und 1982 in einem französischen Gefängnis starb. Viola Shafiks Dokumentation „My Name is not Ali“ (deutsch: „Ali im im Paradies“) rekonstruiert ein bewegtes Leben über Gespräche mit Verwandten in Nordafrika und einstigen Weggefährten in Europa. Die Überlebenden der Fassbindertruppe geben sich eine Blöße nach der anderen und schwadronieren vom „stolzen Araber“.

Ein riesiger Schlamassel

Ergänzt wird das Programm um eine Reihe zum Humor im arabischen Film, die bis in die dreißiger Jahre zurückreicht: Einer der größten Verdienste des Festivals ist es, hierzulande völlig unbekannte Klassiker des ägyptischen Kinos nach Berlin zu bringen. Daneben stehen neuere Produktionen, populäre Komödien, die nicht für Filmfestivals, sondern für den arabischen Kinomarkt produziert wurden. Im umwerfenden algerischen „Mascarades“ geht es um Mounir, ein junges Familienoberhaupt, das darunter leidet, dass seine narkoleptische Schwester Rym keinen Mann findet. Eines Tages setzt er im Vollrausch das Gerücht in Umlauf, Rym werde einen reichen Ausländer heiraten. Bald laufen die Vorbereitungen für die erfundene Hochzeit auf Hochtouren, und Mounir findet keine ruhige Minute mehr. Regisseur Lyès Salem spielt diesen Mounir selbst: ein Angeber, der als Gärtner arbeitet, sich aber als einen „hortikulturellen Ingenieur“ bezeichnet, ein großmäuliger Patriarch, der sich um Kopf und Kragen lügt, um die Ehre seiner Familie zu schützen, nur um wieder und wieder von seiner Frau aus dem selbst verschuldeten Schlamassel gezogen zu werden.

■ Alfilm, 2. bis 10. November, im Babylon Mitte, in den Kinos Eiszeit und Rollberg Mehr unter www.alfilm.de