Quantensprung macht Probleme

NSU-PROZESS Heute muss in München der Präsident des sächsischen Verfassungsschutzes als Zeuge aussagen. In Brandenburg führte er einen der umstrittensten V-Männer

HAMBURG taz | Am heutigen 186. Verhandlungstag hat das Oberlandesgericht München für eine Befragung viel Zeit eingeplant. Im NSU-Verfahren muss der Präsident des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV), Gordian Meyer-Plath, als Zeuge aussagen. „Er muss sich auch viele Fragen der Nebenkläger stellen“, sagt Alexander Hoffmann, der Opfer des Kölner Bombenanschlags in der Keupstraße vertritt.

In den 1990er Jahren war Meyer-Plath als Mitarbeiter des brandenburgischen Verfassungsschutzes (VS) V-Mann-Führer des umstrittenen V-Manns Carsten Sz. alias „Piatto“ gewesen.

Aus der Haft hatte Sz. sich selbst an den VS gewendet. Am 8. Mai 1992 war er der Anführer einer Naziskinheadgruppe, die in einer Diskothek im Dorf Wendisch-Rietz unter lauten „Ku-Klux-Klan“- und „White Power“-Rufen über einen Nigerianer hergefallen war. Der überlebte schwer verletzt. 1995 wurde Sz. deswegen zu acht Jahren Haft wegen versuchten Totschlags verurteilt. Bis zu seiner Enttarnung 2000 war er für den VS tätig. Moralische Bedenken hatte der Geheimdienst damals keine. Vor dem NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag erklärte Meyer-Plath, dass die von „Piatto“ gelieferten Informationen „auf Anhieb unser Lagebild und das anderer Verfassungsschutzbehörden“ verbessert hätte: „Es war ein Quantensprung.“

Nicht nur die Anwerbepraxis steht in der Kritik. Vor Gericht muss sich Mayer-Plath auch fragen lassen, wie der Auftrag an Sz., „Erkenntnisse zu den drei Flüchtigen“, also dem NSU-Kerntrio, zu beschaffen, verfolgt worden sei. Eine Panne wurde unlängst bekannt. 1998 hatte Jan W., damals Kader des Netzwerks Blood and Honour, Sz. eine SMS mit der Frage gesendet: „Hallo, was ist mit den Bums.“ Das Wort „Bums“ wird als ein Hinweis auf eine Waffe für das Trio gedeutet. Vor dem NSU-Ausschuss des Bundestags versuchte Meyer-Plath zu relativieren: „Das ist reine Spekulation.“ Das „Wort ‚Bums‘ “ könnte eine „Vielzahl von Bedeutungen“ haben, sagte er. Bis heute konnte er nicht genau erklären, warum dieser Hinweis nie verfolgt wurde. ANDREAS SPEIT