: SchülerInnen im Selbstversuch
Auf der „Nacht der Jugend“, kommenden Montag im Rathaus, geht es um das soziale Auseinanderfallen der Stadt
Wer in Tenever lebt, stirbt – statistisch – acht Jahre früher als ein Schwachhauser. Außerdem lernt man später schwimmen: Während sich nur zwanzig Prozent der Teneveraner Drittklässler allein über Wasser halten, gelingt das viermal so vielen in der gutbürgerlichen Vergleichsgruppe. Lebenserwartung und Frühförderung sind zwei der Parameter, die ein Wirschaftskurs vom Schulzentrum Walliser Straße zusammen gestellt hat, um die „Spaltung der Stadt“ zu konkretisieren. Auf der „Nacht der Jugend“ werden sie präsentiert.
Einige Erkenntnisse haben die SchülerInnen unter Anleitung ihres Lehrers Wolfram Stein selbst gewonnen. Alina Keller hat unter verschiedenen Identitäten einen Online-Kredit bei der „Citibank“ beantragt: „Ich war jedesmal 26 Jahre alt und wollte 10.000 Euro.“ Ergebnis: Zwischen dem türkischen Wachmann und dem deutschen Beamten, der das Darlehen mit jeweils 72-monatiger Laufzeit beantragt, liegt ein Zinssatz-Unterschied von satten 67 Prozent. Auch ihr Mitschüler Tunay Tüfek hat „heftige Zahlen“ ermittelt: Während 83 Prozent der Schwachhauser Lehrstellensuchende Erfolg hätten, gelte dies nur für 13 Prozent der Teneveraner. Viele Jugendliche würden sich bereits eine Fake-Adresse besorgen, um nicht schon anhand der Absenderdaten aussortiert zu werden.
In den USA heißen unter der Hand praktizierte Auschlussverfahren, die hierzulande auch von Versandhäusern bekannt sind, „redlining“: Wer in bestimmten, „rot umringelten“ bezirken wohnt, wird nicht beliefert – da hilft auch keine Vorkasse.
Neben sozialer Ausgrenzung beschäftigt sich die zehnte „Nacht der Jugend“ traditionsgemäß mit der Reichsprogromnacht von 1938. Ehrengast ist der Sebaldsbrücker Holocaust-Überlebende Hermann Singer, die Rede zum Motto „Unsere Zukunft hat Geschichte“ wird allerdings von zwei SchülerInnen gehalten. Sie sind schließlich auch die Mit-OrganisatorInnen der Vernanstaltung, zu der wieder an die 3.000 Menschen jedweden Alters erwartet werden. HB
Infos: www.nachtderjugend.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
