Schulverweigerer auf Hartz IV

Der Schulverweigerer-Familie bleibt kein „Pfändungsfreibetrag“, sie hat daher Hartz IV beantragt. Anwalt Matthias Westerholt bezeichnet Zwangsmaßnahmen der Behörde als „unverhältnismäßig“

Von Klaus Wolschner

„Die Bildungsbehörde will uns unter Druck setzen“, sagt Tilman Neubronner, Vater der beiden Bremer Schulverweigerer Moritz (10) und Thomas (8). Nachdem vor ein paar Tagen ihre Konten auf Antrag der Bildungsbehörde gepfändet wurden, hat die vierköpfige Familie keinen Zugriff mehr auf eigenes Geld. Normalerweise gibt es einen „Pfändungsfreibetrag“, der so bemessen ist, dass man den Lebensunterhalt daraus bestreiten kann. Davon waren auch die Neubronners ausgegangen – auf ihrem Konto waren gerade 700 Euro.

Im Falle Neubronner gibt aber kein Existenzminimum – weil sie Freiberufler sind. Eine Lücke im Gesetz, hat man beim Finanzressort erklärt, die bis 2009 geschlossen werden soll. Die aber bis dahin besteht. „Von dem Geld, was auf dem Konto eingeht, ziehen wir die 1.500 Euro Bußgeld sukzessive ab“, sagt die Sprecherin der Bildungssenatorin. Also hat die Familie Hartz IV beantragt, um überhaupt Lebensmittel kaufen zu können – was der Staat auf der einen Seite pfändet, zahlt die Bagis auf der anderen zurück. Und Bagis-Geld ist pfändungsfrei.

Dabei, sagt Tilman Neubronner, hat die Behörde nicht einmal klar gesagt, was sie eigentlich erwartet. Irgendwo steht, ein „energischer Erziehungsappell“ sei erforderlich. Die Sache ist aber derart festgefahren, dass die beiden Kinder sich durch einen „Appell“ nicht umstimmen ließen. Der Ältere hat immerhin zwei Jahre die Schule besucht und ist danach zum Schulverweigerer geworden. „Verlangt die Bildungsbehörde, dass wir unsere Kinder gegen ihren Willen und unsere Überzeugung zur Schule zwingen?“ Das wäre nicht im Sinne von Artikel 6 Grundgesetz.

Die Nazis haben 1938 in ihrem „Reichsschulpflichtgesetz“aus der allgemeinen Schulpflicht von 1919 den Schulzwang gemacht, erklärte Dagmar Neubronner gestern. Familie Bonhoeffer etwa gehörte zu den „Home-Schoolern“ damals, und solche Leute sollten ihre Kinder in die Anstalten der Nazi-Propaganda schicken. Da alle Staaten rund um Deutschland herum das Home-Schooling erlauben und dort keine „Parallelgesellschaften“ entstanden sind, könnte auch Deutschland die gesetzlichen Regelungen von 1938 eigentlich ändern, sagt Tilman Neubronner.

Die bremische Bildungsbehörde könnte den Kooperationsvertrag, den die Familie im vergangenen Jahr abgeschlossen hatte, schlicht verlängern. Die Kinder waren am Ende des Schuljahres von der benachbarten Grundschule getestet und als durchaus altersgemäß gebildet bewertet worden. Die Bremer Bildungsbehörde könnte sogar einen „Modellversuch“ aus dem Fall machen, und damit, wie Neubronner sarkastisch formulierte, sich „an die Spitze des Schlusslichtes“ setzen, um bundesweit eine Änderung zu erreichen: „In der EU hat die deutsche Sonderregelung sowieso keine Zukunft.“ Es gäbe also Alternativen zu den Schikanen, die derzeit von der Behörde ausgehen.

„Unverhältnismäßig“ seien die Zwangsmaßnahmen der Behörde, findet Anwalt Matthias Westerholt. Auf der Pressekonferenz war Catherina Groeneveld anwesend, Mutter von vier Kindern. Ihr Mann, ein Südafrikaner, arbeitet bei Airbus. Die Kinder haben südafrikanische Pässe – in Südafrika ist Home-Scholling erlaubt. Die Familie hat Mitte des Jahres ihren Wohnsitz nach Irland verlegt, als sie den ersten Bußgeldbescheid von deutschen Behörden bekam.

Nächste Woche, sagt Anwalt Westerholt, wandert eine der drei Familien, die er vertritt, nach Dänemark aus.