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Archiv-Artikel

aufdringlicher therapeut vor gericht Die Angst vor der Anzeige

„Ich lag da wie die Maus vor der Katze“, beschreibt eine Zeugin vor dem Amtsgericht ihre Gefühle, die sie bei einer Massage im Herbst 2004 beschlichen. Wegen Schulterproblemen hatte ihr behandelnder Orthopäde sie an den Therapeuten Saeid S. überwiesen. Der heute 43-Jährige betrieb eine lichtdurchflutete „Praxis für physikalische Medizin und Schmerztherapie“ in Steglitz. Hier hatte er sich eine neue Wirkungsstätte geschaffen, nachdem er 2003 vom Amtsgericht Potsdam wegen sexueller Belästigung in seiner Teltower Praxis zu einer 18-monatigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt worden war. Doch innerhalb der dreijährigen Bewährungsfrist wurde S. rückfällig – der erste von der Polizei ermittelte Fall datiert vom August 2004.

Sieben weitere Taten listet die Anklage auf. Fünf Zeuginnen im Alter von 33 bis 54 Jahren haben bereits vor dem Schöffengericht ausgesagt. Sympathisch hätte der kleine Mann mit dem angegrauten Lockenhaar auf sie gewirkt. Sie hätten sich in Erwartung einer medizinischen Behandlung bis auf den Slip ausgezogen und bäuchlings auf die Behandlungsliege gelegt, berichteten die Zeuginnen. Stutzig seien sie geworden, als sie plötzlich an ihren nach oben zeigenden Handflächen die Hoden und den erigierten Penis des Masseurs spürten und als sie merkten, wie der Mann immer öfter und ungenierter ihren Intimbereich in die Massage mit einbezog. Einwände habe er abgebügelt, so die Zeuginnen, mit Sätzen wie „haben Sie sich nicht so“, „das gehört mit zur Massage“ und „ich bin Arzt und unterliege der Schweigepflicht“.

Paralysiert und verwirrt hätten sie auf der Liege gelegen, gaben mehrere Zeuginnen an. Aus Angst vor seiner Reaktion seien sie nicht aufgesprungen und gegangen. „Dass ich darauf nicht sofort reagierte, habe ich selbst nicht verstanden, auch mein Umfeld nicht. Ich habe mich sehr allein gefühlt“, berichtete eine 46-jährige Kosmetikerin dem Gericht. Eine 33-jährige Friseurmeisterin warf sich vor: „Warum bin ich nicht aufgestanden?!“, eine 34-jährige Direktionsassistentin fragte sich: „Warum hat man so etwas mit sich machen lassen?“

Nur wenige Frauen entschlossen sich, S. anzuzeigen. Ein Opfer begründete diesen schwerwiegenden Schritt mit dem Wunsch: „Das soll anderen Frauen nicht passieren.“ Doch die meisten Frauen wähnten sich als Einzelfall und sahen wegen der Konstellation „Aussage gegen Aussage“ wenig Erfolg in einer Anzeige. Sie brachen lediglich die Behandlung ab und versuchten, den Vorfall zu vergessen. Erst der Hinweis einer aufmerksamen Praxismitarbeiterin, die sich über die vielen abgebrochenen Behandlungen wunderte, führte zu polizeilichen Ermittlungen. Saeid S., der laut der Anwältin einer Nebenklägerin noch nicht einmal eine Berufsausbildung zum Physiotherapeuten vorweisen kann, droht nun eine Verurteilung wegen eines 2004 neu ins Strafgesetzbuch aufgenommenen Tatbestandes: des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses. Er kann mit maximal fünf Jahren Haft bestraft werden. Ein Berufsverbot könne man aber nicht gegen S. erwirken – denn er habe ja keinen Beruf, so die Nebenklage-Anwältin.

Ohnehin wird die Bestrafung von Saeid S. die Justiz noch beschäftigen. Denn zum Verhandlungstermin am Donnerstag entschuldigte sich der zweifache Familienvater mit einen Attest – aus Teheran. Zwar kann auch in Abwesenheit des Angeklagten das Verfahren gegen Saeid S. beendet werden, doch für die Strafverbüßung müsste S. schon persönlich erscheinen. UTA FALCK