: Dabei sein ist alles
KANDIDATUR Hamburg hat gute Chancen auf die Spiele 2028 – doch wären sie auch gut für die Stadt? ➤ Schwerpunkt SEITE 43–45
VON MARCO CARINI
Die B.Z. war beleidigt. Und gemein. „Also Boston“ titelte das Berliner Boulevardblatt aus dem Hause Springer einen Tag nach der Olympia-Entscheidung für Hamburg und behauptete auch noch in der Unterzeile: Jubel in den USA. Warum wer in den USA gejubelt haben soll, verriet das Boulevardblatt nicht, der Zweiwort-Titel aber verkündet eine Halbwahrheit: Boston ist richtig, das „also“ aber falsch. Aller Voraussicht nach wird Boston die Olympischen Spiele 2024 tatsächlich ausrichten – nur daran hätte auch eine Bewerbung Berlins rein gar nichts geändert.
„And the winner is: Boston“ – diese Worte werden wahrscheinlich fallen, wenn das Internationale Olympische Komitee (IOC) im Sommer 2017 im peruanischen Lima über die Vergabe der Spiele 2024 entscheidet. Dass Boston, das sich in der US-amerikanischen Vorentscheidung gegen Los Angeles, Washington, D. C. und San Francisco durchsetzte, als Favorit ins Rennen geht, hat viele Gründe: Da die letzten Olympischen Sommerspiele in den USA – es war Atlanta – bereits heute 19 Jahre zurückliegen, die letzten in Europa aber gerade mal zweieinhalb, ist nicht der europäische Kontinent, sondern Nordamerika an der Reihe. New York und Chicago waren mit ihren Bewerbungen für 2012 (London) und 2016 (Rio de Janeiro) noch jeweils gescheitert.
„Eine ganze Generation von Amerikanern hatte nicht die Möglichkeit, Olympische und Paralympische Spiele auf heimischem Boden zu erleben“, zürnt deshalb Scott Blackmun, Geschäftsführer des Nationalen Olympischen Komitees der USA. Zudem schloss IOC-Präsident Thomas Bach vergangenen Mai mit dem US-Fernsehsender NBC einen Rekord-Deal in Höhe von 7,65 Milliarden Dollar (umgerechnet 5,5 Milliarden Euro) für die Jahre 2021 bis 2032 ab. Vor diesem Hintergrund ist es mehr als fraglich, ob es sich das IOC mit dem Heimatland seines größten Finanziers noch einmal verscherzen will. Der inzwischen beigelegte Konflikt um die Verteilung der Fernsehgelder zwischen den USA und dem Rest der Welt hatte die Bewerbungen von New York und Chicago noch überschattet und aufs Abstellgleis geführt.
Also Boston – das weiß man auch in Hamburg, auch wenn Innensenator Michael Neumann (SPD) der Stadt offiziell „sehr gute Chancen“ für 2024 einräumt. Doch in Wahrheit schnürte Neumann eine Mogelpackung: Die Doppelkandidatur für 2024 und 2028 zielt mehr auf das letztere Datum. Wie einst Lena Meyer-Landrut beim Eurovision Song Contest, so will auch Hamburg gleich zweimal in die Endausscheidung, um dann einmal zu gewinnen.
Nicht dass die Hamburger Akteure etwas gegen einen Außenseitersieg bei der Vergabe der Spiele 2024 einzuwenden hätten – doch eigentlich will man sich nur warmlaufen für die Entscheidung 2028. Das heimliche Konzept: Beim ersten Mal ganz ehrenvoll verlieren und gleichzeitig die europäische Konkurrenz in die Schranken weisen, beim zweiten Mal zuschlagen.
Das Kalkül: Nach der bisherigen „Kontinentalrotation“ des IOC bei der Vergabe der Sommerspiele ist Europa im Schnitt jedes dritte Mal Olympia-Ausrichter. Vor London (2012) waren Athen (2004) und Barcelona (1992) Gastgeber, spätestens 2028 nun ist Europa wieder an der Reihe. Neben Hamburg stehen für 2024, wohl aber auch 2028, bereits Rom, wohl auch Paris und – wie zuletzt bei jeder Bewerbungsrunde – auch wieder Istanbul in den Startlöchern.
Doch in dieser Auswahl kann sich Hamburg beste Chancen einräumen. Integraler Bestandteil der vergangenen Dezember vom IOC beschlossenen Agenda 2020, die die Vergabekriterien für eine Olympiavergabe aktualisiert, ist die bevorzugte Vergabe der Spiele an „Second Cities“, also die Metropolen der zweiten Reihe. Boston und Hamburg gehören dazu, die Hauptstädte Italiens, Frankreichs und Spaniens zählen aber ebenso zur ersten Garde wie auch Berlin und Istanbul, dem vor dem Hintergrund einer als zunehmend wahrgenommenen Terrorgefahr durch radikale Islamisten seine geografische Lage zum Nachteil werden könnte: Syrien ist ziemlich nah.
Von den vier großen Volkswirtschaften der Welt hat zudem Deutschland am längsten keine Olympischen Spiele ausgerichtet. Die USA stellten mit Los Angeles (1984) und Atlanta (1996) schon zweimal die Host City, China richtete 2008 mit Peking aus, Japan 2020 mit Tokio, Deutschland aber zuletzt 1972 mit München. In Europa spricht zudem die ökonomische Stabilität und Finanzkraft für Deutschland; Italien (Rom) und Frankreich (Paris) und die Türkei (Istanbul) haben gravierende wirtschaftliche Probleme, die bei einer Olympiakandidatur auf dem Minuskonto verbucht werden dürften.
Die nächsten Olympiastädte? Erst Boston, dann Hamburg! Wetten?