: Wo die Töne liegen könnten
PREMIERE Philipp Stölzl hat an der Staatsoper eine eigene Version von Jacques Offenbachs Operette „Orpheus in der Unterwelt“ inszeniert – mit Stars aus Film und Fernsehen. Und manchmal auch mit Gesang
VON NIKLAUS HABLÜTZEL
Die Ratings für Operetten sind zurzeit deutlich besser als für Staaten. Das liegt an den Staaten, die uns munter unterhalten mit Regierungspersonal in Erklärungsnöten aller Art, kleinen Krediten und akademischen Titeln. Eine gute Zeit also für eine Gattung, die noch vor Kurzem weitgehend ausgestorben schien. Sie lebt glänzend, letztes Jahr mit Chabriers „L'Étoile“ an der Staatsoper in Starbesetzung und Benatzkys „Im weißen Rößl“ in deutscher Regietheater-Wertarbeit an der Komischen Oper, an der derselbe Regisseur (Sebastian Baumgarten) soeben zeitgerecht eine auf ihre Operettenwurzeln zurechtgestutzte „Carmen“ nachgereicht hat. Jetzt räumt Philipp Stölzl an der Staatsoper mit Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ die letzten Vorurteile ab, die man als rechtgläubiger Bildungsbürger gegen die unvermeidliche Renaissance der Operette haben kann.
Der Philosoph Peter Bieri hielt in einem seiner Seminare den Satz „In der Oper wird gesungen“ für analytisch wahr. Ein Irrtum, denn in der Staatsoper im Schillertheater wird nicht gesungen. Gustav Peter Wöhler zum Beispiel versucht es mit einem Lied zum Text „Juno, you know, I love you“, hat aber keine Ahnung, wo ungefähr die Töne liegen könnten, an die Offenbach möglicherweise gedacht hat. Erstaunlich, weil Wöhler ja gelegentlich mit einer eigenen Band auftritt und CDs aufnimmt. Aber natürlich hätte selbst Bieri aus diesen Prämissen nicht gefolgert, dass Wöhler singt. Er kann es einfach nicht, aber das macht nichts, weil das Vorurteil falsch ist, dass es in der Operette immer um goldene Kehlen mit Herzschmerz geht.
Im Falle des Originals von „Orpheus in der Unterwelt“ war das – anders als in anderen Werken der Gattung – ohnehin nie zu befürchten. Es geht um Ehescheidung. Stölzl hat sich zudem nur am Rande für das Original interessiert. Er mag nun mal Musik nicht so sehr, wie man an seiner Videoclip-Version von Wagners „Rienzi“ an der Deutschen Oper sah. Für Offenbach bat er Christoph Israel, den Pianisten von Max Raabe, eine Fassung für kleines Orchester zu arrangieren, die möglichst wenig an den Glanz der Pariser „Opéra bouffes“ von 1858, dem Uraugführungsjahr, erinnern sollte. Hinten auf der Bühne spielen nun ein paar Mitglieder der Staatskapelle ab und zu Melodien von Offenbach, die verpackt sind in den Klimperklang der Berliner 20er Jahre.
Max Raabe, der die Premiere besucht hat, war damit bestimmt sehr glücklich, aber man bedauert doch ein bisschen, so wenig von jenem Offenbach zu hören, der nun gerade mit AAA+ notiert und deswegen überall musikwissenschaftlich korrekt rekonstruiert wird – trotz seines schrecklichen „Can Can“, der zu diesem Stück gehört und auch hier gespielt wird. Nun ja, von Max Raabes Palast Orchester halt, also eigentlich gar nicht.
Man kann das bedauern, muss es aber nicht. Was im Schillertheater unter Offenbachs Name aufgeführt wird, ist ein Text des Kabarettisten Thomas Pigor, gespielt von Leuten, die zum Besten gehören, was das deutschsprachige Kino und Fernsehen zurzeit zu bieten hat. Um beim Ranking zu bleiben, in dieser Reihenfolge: Hans-Michael Rehberg, Stefan Kurt, Gustav Peter Wöhler, Ben Becker und Cornelius Obonya. Rehberg vor allem steuert mit seinem Totenwächter Styx, der hier nicht der „Prinz von Arkadien“, sondern von „Nord-Lappalien“ ist, einen emotionalen Höhepunkt voller Melancholie bei. Die anderen lassen einfach ihrer puren Spielfreude freien Lauf. Das ist hinreißend komisch bei Stefan Kurts Orpheus, putzig bei Wöhlers Jupiter und von donnernder Bühnenpräsenz bei Beckers Pluto. Becker hat sich dafür Gründgens Mephisto ins Gesicht geschminkt, was zwar keinen Sinn ergibt, aber das bei ihm eher unterentwickelte Talent zur Komik ersetzt. Davon hat dagegen Obonya in der allegorischen Figur der „öffentlichen Meinung“ so viel, dass er selbst endlos lange Textstrecken sehr mäßiger Qualität zum Vergnügen machen kann.
Nun gut, manchmal wird auch hier ein wenig gesungen, und zwar von dem jungen Ensemblemitglied Evelin Novak als Eurydike und einigen Chordamen, die in sehr gewagte Korsetts eingezwängt ein bisschen Folies Bergère imitieren. Sie machen das alle sehr schön, aber unter diesen brummenden Schauspieltitanen klingt ihre Kunst nur noch wie eine Parodie auf die Vergangenheit. Auch das Bühnenbild spielt mit seinen aufklappbaren Nostalgiekulissen mit der Tradition der Operette. Sie lebt, wie immer ohne tieferen Sinn, aber noch lustiger als die Regierungen dieser Welt und mit viel größeren Chancen auf Nachhaltigkeit.
■ Nächste Aufführungen: 23., 25., 28. Dezember