: Männer, Kinder und Karriere
■ Skeptische Anmerkungen zur Vereinbarkeit von Berufsorientierung und Leben mit Kindern / Über die soziale Erfahrung, die zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und zum Verzicht auf Kinder führt / Von Ralf Fücks
Daß Männer mit Kindern traditionell nichts am Hut hätten, ist ein böses Vorurteil. Auch vor dem Zeitalter (oder der Episode?) der „neuen Männer“ gab es die in ihre Kinder vernarrten Väter. Allerdings: Ihre Kinderliebe basierte darauf, daß sie sich die Nachkommen über weite Strecken des Tages vom Hals hielten.(...)
Im Rahmen der traditionellen Arbeitsteilung ist der Kontakt von Vätern zu ihren Kindern auf den Bereich der„Freizeit“ begrenzt, und auch dort können Männer entsprechend der eigenen Wünsche und Interessen dosieren, wie weit sie sich auf die Bedürfnisse von Kindern einlassen.(...)
Mütter dagegen leben in der Regel in Zwangsgemeinschaft mit ihren Kindern. Eben diese exklusive Verpflichtung, rund um die Uhr „für die Kinder da zu sein“, läßt manche so harsch von der „Arbeit der Kinderaufzucht“ sprechen; ein Ausdruck, der nicht nur Änhängerinnen des Müttermanifests das Blut gefrieren läßt.(...)
Was sollte einen Mann bewegen, die Freiheit aufzugeben, seine Zeit und Energie nach eigenem Gusto zwischen Beruf, Freizeitvergnügen, Politik und Kinderbetreung aufzuteilen? Es gibt vermutlich nur zwei Motive'die Männer dazu bringen können, sich diesem Konflikt ernsthaft zu stellen (von der fehlenden Berufperspektive einmal abgesehen, aber da hört die Freiheit der Wahl auf):
Erstens die Notwendigkeit, sich für den Alltag mit Kindern zu entscheiden, um sich nicht von ihnen trennen zu müssen: eine Alternative, die mit der Trennung der Eltern auftauchen kann.
Zweitens die Liebe zu einer
Frau, die um die Erweiterung ihrer außerhäuslichen (beruflichen, politischen, kulturellen) Möglichkeiten kämpft: wobei auch hier Fall eins als Konsequenz von zuviel männlicher Immobilität droht. Daß die Zahl der Männer wächst, die im Fall eins nicht auf das Zusammenleben mit ihren
Kindern verzichten mögen, auch wenn sie dafür viele liebgewonnene Freiheiten aufgeben müssen, ändert nichts daran, daß diese Bereitschaft auf absehbare Zeit absolut minoritär bleiben wird. Zu groß ist die Kluft zwischen dem verinnerlichten männlichen Lebensentwurf und dem
Leben eines alleinerziehenden Vaters. (...)
Fall zwei-die Auseinandersetzung mit einer auf Gleichberechtigung pochenden Frau-läuft in der Regel auf einen zähen, immer wieder aufbrechenden Konflikt um verfügbare Zeit und Entfaltungschancen hinaus. Wenn es gutgeht, gibt es Annäherungen in Richtung Gleichberechtigung, wenn nicht, vergrößert sich das Heer der schiffbrüchigen Beziehungen. Wie sehr inzwischen der „Geschlechterkampf“, das Ringen um eine neue Rollenbalance und Arbeitsteilung zu einem Sprengsatz für Lebensgemeinschaften zwischen Frauen und Männern geworden ist, kann jede(r) an der wachsenden Zahl von Singles und Alleinerziehenden gerade im Milieu des alternativen Mittelstands ablesen. Auch die zunehmende Absage ans Kinderkriegen von seiten ihre Unabhängigkeit schätzender Frauen (und Männer!) ist ein deutlicher Hinweis auf die verbreitete Skepsis gegenüber dem Modell der partnerschaftlichen „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“. Statt gleicher Rechte und Pflichten von Vätern und Müttern also der beschleunigte Zerfall der Kleinfamilie in ihre eingeschlechtlichen Atome und in letzter Konsequenz die Kinderlosigkeit als vermeintliche Basis persönlicher Entfaltung-auch diese Tendenzen gehören zur vorläufigen Bilanz des Projekts der „Aufhebung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung“. Spätestens hier beginnen gewöhnlich die Schuldzuweisungen an die Männer und ihre zähe Weigerung, den ihnen gebührenden Anteil der Reproduktionsarbeit zu übernehmen (von ihren
sonstigen schlechten Eigenschaften sei hier abgesehen).
Allerdings wird die Forderung, Beruf, gesellschaftliche Aktivität und das Leben mit Kindern unter einen Hut zu bringen, zum puren Voluntarismus, solange er lediglich als Anspruch an die Subjekte gerichtet wird, während die gesellschaftlichen Strukturen nach wie vor auf der traditionellen Arbeitsteilung aufbauen. Unabhängig vom guten oder schlechten Willen der Individuen ist gegenwärtig die Verantwortung für Kinder und die Wahrnehmung eines anspruchsvollen Berufs nur in Ausnahmefällen vereinbar.
Die tariflichen Vereinbarungen sagen wenig aus über die tatsächliche Arbeitszeit und die Arbeitsintensität, die auf verschiedenen Stufen der Berufspyramide herrschen. Rechnet mensch die Überstunden, Wegezeiten und Pausen ein, kommt die 60-Stunden Woche für die meisten Vollerwerbstätigen der Realität erheblich näher als die 30-Stunden Woche. Während unter Arbeitern regelmäßige Überstunden oft einen festen Bestandteil des Familienbudgets bilden, ist auf den höheren Etagen der Hierarchie die Bereitschaft zur Arbeit über die Tarifnorm hinaus schon fast eine normale Selbstverständlichkeit. Dafür sind nur zum Teil Karriereverhalten und Gruppenzwang verantwortlich. Gerade unter wissenschaftlich qualifizierten Angestellten mit komplexen Tätigkeiten wächst die Identifikation mit ihrer Berufsarbeit, die eine innere Leistungsmotivation erzeugt. Für die steigende Zahl von Selbständigen gelten erst recht keine „kindergerech
ten“ Arbeitszeiten, ebensowenig wie für die (unfreiwilligen) Vagabunden des Arbeitsmarkts, die nur mit zwei oder drei nebeneinander praktizierten Jobs Anschluß an das Normaleinkommen halten können. (...)
Kinder, das gehört zu ihrer Natur, sperren sich grundsätzlich gegen den Grad an Verfügbarkeit, Regelmäßigkeit und Konzentration „auf die Sache“ der in der durchrationalisierten Leistungswelt der Erwerbsarbeit (oder Politik) gefordert wird. Kinder berufstätiger Eltern werden immer zum „falschen“ Zeitpunkt krank. Sie wachen nachts auf, wenn Papa gerade über einer Arbeit brütet, die am nächsten Morgen fertig sein muß. Sie beanspruchen die Wochenenden, an denen die interessanten Kongresse und die informellen Weichenstellungen stattfinden. (... ) Diesen objektiven Konflikt zwischen Kindererziehung und Berufsorientierung zu ignorieren, führt notwendig zu Spannungen und Kräfteverschleiß. Voll berufstätige Eltern kleiner Kinder leben in dem Zwiespalt, keiner der beiden Welten ganz gerecht zu werden, geschweige denn ausreichend Zeit und Energie für sich selbst oder für die anderen Seiten des Lebens zu haben. So wird die Zeit, in der sich Männer und Frauen auf dem Zenit ihrer Leistungskraft befinden, unter dem Druck der emanzipatorischen Ansprüche zu einer Periode chronischer Überforderung. Es ist diese massenhafte soziale Erfahrung, die auf der einen Seite zur Reproduktion der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und auf der anderen Seite zum Verzicht auf Kinder führt. (...)
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