: Ein solider Revolutionär
■ Der Mann des umstürzlerischen Bebop
Daß er heute 75 Jahre alt werden kann und noch immer im Geschäft ist, verdankt Dizzy Gillespie seiner soliden Vita, vor allem seiner Resistenz gegen Heroin und Alkohol; sie waren die Totengräber von Charlie Parker, John Coltrane oder Miles Davis, Musikergenies, mit denen er einmal den Jazz revolutioniert hat, und nicht nur das: Die Handvoll junger Bebop-Leute schuf in den 40er Jahren eine Subkultur, die die Uniformität des zähnefletschend-fröhlichen Swing überwinden wollte; den jungen Schwarzen waren die wilden Bopper die Verkünder einer neuen Identität, da ihr originäres kulturelles Erbe von den Weißen aufgesogen und verwaltet wurde.
Am 21.Oktober 1917 wurde Dizzy als John Birks Gillespie in einem Provinznest in South Carolina geboren. Trompete lernte er erst mit zwölf, aber er erfuhr eine akademische Musikausbildung. Sie befähigte ihn, schon mit 20 Nachfolger seines großen Vorbildes Roy Eldridge in der Teddy-Hill- Band zu werden, einer der führenden Swingkapellen dieser Zeit. In dieser Gruppe zeigte Dizzy bereits die beiden Eigenschaften, die ihn populär machen sollten: Er ist der ausgeflippte („dizzy“) Clown und der solide Musiker mit der schwindelerregenden („dizzy“) Technik. Teddy Hill berichtete: „Ein paar meiner Musiker drohten, daß sie die Band verlassen würden, wenn ich den Verrückten mitnähme. Aber es erwies sich, daß der junge Dizzy ... der zuverlässigste Mann der Band war.“
Gillespie war bald einer der gefragtesten Solisten zwischen Los Angeles und New York, reüssierte im Orchester des legendären Cab Calloway, der der Band im weißen Smoking vorstand. Daß der junge Rebell Gillespie seinem Chef eines Tages im Streit ein Messer in den Körper rammte, trug nur zum Mythos Dizzie bei.
Zu seiner eigenen Musik fand Gillespie erst in den 40er Jahren, als er auf die zum Abenteuer entschlossenen jungen Swing-Abtrünnigen — allen voran Charlie Parker — stieß. Was sich hier entwickelte, verstanden anfangs die wenigsten Zeitgenossen, die Weißen zuletzt. Die neue Musik galt als umstürzlerisch, chaotisch, schockierend.
Sie war so schnell wie das Leben derer, die sie entwickelten. Aber genauso schnell, wie der Bebop den Weg aus den schmuddeligen Klubs fand, wurde er zum Mainstream. Die weißen Manager und Schallplattenproduzenten wußten die Undergroundklänge zu domestizieren.
Ende der 40er Jahre wurde Dizzy zum Bigband-Musiker und -Leiter. Vor dem Bandstand konnte er den Entertainer spielen, er war Vorbild der neuen Jugendkultur, seine Baskenmütze, seine schrillen Schlipse und sein Ziegenbärtchen wurden zur Mode. Charlie Parker, der kaum sein eigenes Leben unter Kontrolle brachte, kam nur mit wenigen Kollegen aus, blieb dem Quintett verhaftet — die beiden unterschiedlichen Brüder hatten keine gemeinsame Zukunft mehr.
„Ich habe nun vorerst genug davon, Jazzgeschichte zu machen, ich will mir jetzt jeden Tag ein warmes Mittagessen leisten können“, soll Dizzy damals gesagt haben. Dennoch trat er noch einmal als Neuerer hervor: Er integrierte afrokubanische (Poly-)Rhythmen in seine Musik, er brachte den Jazz nach Südamerika, verkuppelte ihn mit Samba, woraus der Stil entstand, dem man das Etikett „Bossa Nova“ verpaßte.
Auch Staatstragendes ist von dem geläuterten Revolutionär zu berichten: Er war der erste Jazzmusiker, den das US-Außenministerium auf eine Goodwill-Tournee schickte. Mit seiner Bigband bereiste er 1956 Afrika und Asien, damit die Welt sähe, „daß die USA nicht nur Waffen exportieren können“ (Gillespies deutscher Biograph Jürgen Wölfer). In den 60er Jahren bewarb er sich gar für das Amt des US-Präsidenten. Das sollte nicht nur ein Witz sein, angesichts der Polarisierung zwischen Schwarz und Weiß fühlte er sich zum Integrator berufen. Und als die Kollegen zu radikalen Moslems wurden, trat Dizzy der humanitär-aufklärerischen Bahai-Sekte bei.
Der Freejazz blieb ihm fremd, mit der Rockmusik konnte er nichts mehr anfangen. So spielt er noch heute die alten Titel, wenn er durch die Konzertsäle tourt. Michael Berger
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