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Reaktorabriß ganz vertraulich

Bayerische Staatsregierung mag die Bevölkerung nicht über die Demontage des AKW Kahl informieren / Atommüll ins Ausland?  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Berlin (taz) – Die bayerische Staatsregierung hat den Abriß des Atomkraftwerks Kahl unter Ausschluß der Öffentlichkeit genehmigt. Das zuständige Münchener Umweltministerium entschied, daß die betroffene Bevölkerung im Umkreis des Versuchsatomreaktors Kahl am Main vor dem Abriß des hochradioaktiven Reaktorkerns nicht gefragt und angehört wird. „Die Anhörung ist nach der Atomverfahrensverordnung nicht erforderlich“, begründet das Umweltministerium in schönstem Bürokratendeutsch die Geheimniskrämerei. „Eine Gefahr für Leben, Gesundheit und Sachgüter der Allgemeinheit“ könne „nach den Maßstäben praktischer Vernunft ausgeschlossen werden“, heißt es in der Genehmigung.

Das AKW Kahl ist Ende der fünfziger Jahre wenige hundert Meter von der hessischen Landesgrenze im fränkischen Kahl gebaut worden. Ende 1960 ging der vom RWE in Auftrag gegebene 36 Millionen Mark teure Reaktor in Betrieb. In den 25 Jahren seines Betriebs haben Umweltschützer 90 Stör- und Zwischenfälle gezählt. 1970 allein stand der Reaktor zwölfmal ungeplant still, fünfmal nach einer Schnellabschaltung. Ende 1985 wurde der kleine 15 Megawatt-Reaktor abgeschaltet.

Das Umweltministerium will den Bürgern nicht nur nicht zuhören, es geizt auch noch mit Informationen. Selbst das TÜV-Gutachten über die vermeintliche Ungefährlichkeit des Abrisses wird unter Verschluß gehalten. Das gilt auch für Abgeordnete des Landtages: „Es ist nicht die Aufgabe des Landtages, die Verwaltung in allen Einzelheiten zu prüfen“, erklärt der zuständige Baudirektor, Wolfgang Scholz zur Informationspolitik.

Zwei Hauptrisiken seien geprüft worden, läßt sich Scholz immerhin entlocken. Wenn ein Container mit einer radioaktiven Lösung auslaufen würde, sei das nur ein „anlageninterner Störfall“, für die Bevölkerung also nicht von Belang. Sollte wider alle Vorsicht einer der radioaktiv kontaminierten Aktivkohlefilter Feuer fangen, wäre das schon gravierender. Die Verseuchung der Umgebung würde aber immer noch unter den entsprechenden Grenzwerten liegen. Aus Sicherheitsgründen sei eine Beteiligung der Bevölkerung bei der Genehmigung also nicht notwendig, schließt der Beamte.

Betrieben haben den Atommeiler seit 1960 das RWE (80 Prozent) und das Bayernwerk (20 Prozent). Beim RWE liegt jetzt auch die Federführung für den Abriß. „Wir haben mehrere hundert Millionen Mark für den Abriß zurückgestellt“, so ein Unternehmenssprecher. Die Kosten für die Zerlegung des hochradioaktiven Reaktorkerns und der 70 Zentimeter dicken schützenden Betonwände würden bei rund 180 Millionen Mark liegen. Mindestens 400 Kubikmeter Atommüll, der endgelagert werden muß, entstehen beim Abriß. 72.000 Arbeitsstunden sind nach der Genehmigung der bayerischen Landesregierung für die Demontage angesetzt, die Gesamtbelastung der Reaktorarbeiter in dieser Zeit soll sich auf 150 Rem belaufen.

Bürgermeistern und Umweltverbänden wie dem Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), dem Bund Naturschutz und der Intitiativgruppe Umweltschutz Hanau laufen Sturm gegen das Verfahren. (Sie fühlen sich nicht ausreichend über die Risiken informiert und wollen außerdem wissen, wo der entstehende Atommüll bleibt. Ein Endlager in der Bundesrepublik sei schließlich nicht in Sicht, so Eduard Bernhard vom BBU. Rolf Wenzel, Bürgermeister des Nachbarorts Seeligenstadt, beschwert sich öffentlich bei Minister Gauweiler: „Dies spielt sich in einer Entfernung von weniger als einem Kilometer Luftlinie von der Stadt Seeligenstadt ab, ohne daß die Bevölkerung über geeignete Schutzmaßnahmen oder über mögliche Auswirkungen informiert ist.“ Seeligenstadt liegt jenseits des Mains in Hessen, dort ist der Abriß von der bayerischen Landesregierung nicht einmal bekanntgemacht worden.

Verwundert über die Geheimpolitik ist auch der Fuldaer Atomrechtler Martin Führ. „Der Regelfall ist hier eigentlich die Öffentlichkeitsbeteiligung, und es ist gute verwaltungsrechtliche Praxis, Ausnahmen von dieser Regel eng auszulegen.“ Politikerinnen wie die grüne Landtagsabgeordnete Christine Scheel formulieren das etwas schärfer: Der Verzicht auf die Bürgerbeteiligung sei „eine Frechheit“. Beim bayerischen AKW Niederaichbach, das nur 19 Tage voll in Betrieb war, habe es schließlich eine öffentliche Anhörung gegeben. „Das bürgerfeindliche Verhalten der Behörde sprengt jedes Maß.“

Der Betreiber RWE fühlt sich für diesen Krach nicht zuständig, das entscheide die Staatsregierung. Die hat jedoch eine Eigeninteresse an einer schnellen Abwicklung des Abrisses. Der Freistaat Bayern ist über seine Beteiligung am Bayernwerk selbst mit 20 Prozent an dem Atommeiler von Kahl und somit auch an den Abrißkosten beteiligt. Im Münchener Umweltministerium macht man sich mehr Gedanken über die Kosten der Demontage als bei einer für die Sicherheit zuständigen Behörde üblich.

„Es ist theoretisch möglich, daß ein Teil des Materials ins Ausland geht“, meint zum Beispiel der genehmigende Abteilungsleiter Scholz. Wenn das „kostengünstig“ sei, könne man das dem Betreiber kaum verübeln. Schließlich koste die Entsorgung eines Kilos Atommüll in Großbritannien heute 400 Mark, in der Bundesrepublik aber 10.000 Mark. Zunächst sei allerdings geplant, den Atommüll endlagerfähig zu verpacken und am Standort zu lagern.

Das RWE dementiert Pläne, den Müll ins Ausland zu exportieren, ausdrücklich. Man will sich mit dem Abriß vor allem deswegen beeilen, weil man noch über das Betriebspersonal verfüge. „Die kennen jede Ecke im Reaktor und können die Abrißtätigkeit steuern.“

Ein ungenanntes Motiv für die Eile könnte aber auch eine neue Verordnung über atomare Reststoffe sein, die in Arbeit ist. „Die sieht teilweise sehr viel schärfere Grenzwerte vor, bevor man Abrißschrott von AKW für andere Nutzungen freigibt“, so Christian Küppers vom Öko-Institut Darmstadt. Und das würde viel teurer – für Bayern und für RWE.

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