: Mit Käppi am See tut's nicht weh Von Philippe André
Es war leider einer jener seltenen herrlichen Sommertage. Samstag morgen, 27 Grad im Schatten, wolkenlos und windstill. Meine Sorgen wuchsen noch mit den Ozonwerten des Vortages in der druckfrischen Zeitung. 186 Mikrogramm, „Grenzwert“ überschritten! Prognose: schwer übel – wenn das Prachtwetter anhalten sollte. Moment mal. War nicht Grillen und geselliges Beisammensein am See angesagt für heute; dem Jungen leichtsinnig versprochen? Und fühlte ich nicht andererseits – Teufel auch – bleierne Müdigkeit in Geist wie Knochen, die ganz offensichtlich auf die Überschreitung anderer Grenzwerte zurückzuführen war?
„Auf keinen Fall raus heute“, wage ich einen ersten mutigen Ausfall. Doch mein Kleiner läßt sich nicht bluffen: zunächst guckt er ganz komisch, als ob er gleich anfangen wolle zu weinen. Dann weint er. Volltreffer! Ich ziehe mich an, rapple mich aber gleich wieder und werfe die Angstrute aus: Killer-Ozon, irreparable Schäden..., junge Menschen besonders..., Hautkrebs etc. Schon wird das Cleverle etwas ruhiger, nachdenklicher. Doch seine Mutter zerstört alles: „Wo isch die Sonnencrähme“, ruft sie unangenehm aufgeräumt aus dem Bad; und mein Sohn eilt, sie zu finden...
Natürlich rate ich später am See von jedweder körperlichen Anstrengung ab und verweigere unwirsch das Tragen selbst mittelschwerer Gerätschaften. Einige Ewiggestrige wollen in mir einen besonders krassen Fall von Stinkfaulheit ausgemacht haben. Ich ringe sie argumentativ nieder. „Außerdem“, füge ich spitz hinzu, „seid Ihr vermutlich nur ungenügend eingerieben.“ Zwei greifen verunsichert zur Creme – doch da, was ist das? Mein Junge! Im Wasser. Ohne Käppi und weit draußen! Ich springe ans Ufer, schreie, gestikuliere und hüpfe Aufmerksamkeit heischend auf und ab. „Wa ischt denn scho wiedr“, stürzt meine Gattin herbei. „Der hat kein Käppi auf“, röchle ich heiser. „Ha ond?“
War das eigentlich noch meine Frau? Wie sie da so stand, den Zeigefinger an ihre bereits gefährlich gerötete Stirne tippend, breitbeinig wie ein Macho? „Gut“, belle ich im Tonfall des düsteren Sehers, „dann kümmerst du dich auch um die Folgen, nicht wahr?“ Gemessenen Schrittes fliehe ich auf mein Handtuch. Ich war es leid. Da verzehrte man sich in väterlicher Sorge und wurde vor allen Leuten fertiggemacht. Von einer, die einst durch dick und dünn mit mir gehen wollte. Unglaublich! Ich fliehe in einen tollen Tagtraum. In diesem bin ich Vater von sechs glücklichen und gehorsamen Kindern, die freiwillig mit T-Shirt und Käppi baden und Speiseeis hassen wie die Pest. Hinter mir schreitet meine Gattin. Sie ist wunderschön wie eh und je. Aber auch freundlich. Sie lächelt verliebt, wenn ich mich umsehe...
...und dann säuselt sie sanft: „oufwachn, Jesses, den hot's derwischt“. Ich reiße die Augen auf und die Hand an die Stirn. Es zischt. Katzenartig hechte ich in den Schatten der Ulmen, wo sich die anderen freilich längst versammelt haben. Ich merke es gleich. Sie sind viel zu freundlich und besorgt um mich. Auch mein Kleiner grinst dauernd. Auf der Fahrt nach Hause trage ich – erstmals nach Jahren wieder – mein gutes altes Haßkäppi.
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