: Tatort: Berliner Kiez
■ Die wenigen Berlin-Krimis sind seit langem "in" / Mit der Reihe "Berlin Crime" von "edition monade" hat nun erstmals ein Verlag den Spreekrimi zum Programm gemacht
Wenn Wim Wenders über Berlin schwebt, Franz Biberkopf am Rosenthaler Platz Schnürsenkel verkauft oder „Manne“ Krug in Kreuzberg liebelt, da schlägt manchem Hauptstädter das Herz höher. Ob Hommage an die Metropole oder (spr)ödes Lokalkolorit: Das Wiedererkennen bekannter Orte in unbekannter Handlung bleibt nicht länger der Heimvorteil langatmiger Formen. Auch im Kriminalroman wird nun, dank der Reihe „Berlin Crime“ des jungen und ambitionierten Verlags edition monade das hiesige Pflaster entdeckt.
Ob skrupellose Baulöwen im Prenzlauer Berg besetzte Häuser anstecken oder ein schwuler Schrifsteller durch die Schöneberger Sub streift auf der Suche nach dem Mörder seines gehaßten Ex- Lovers, sechsmal bereits gab der Berliner Kiez die Kulisse fürs Kriminelle und dem Leser die Genugtuung, einmal vor der ersten Reihe zu stehen. Vorbei die Zeit, in der ein akademischer -ky oder Bürgerschreckin Pieke Biermann allein in der Szene wilderten.
„Jede Großstadt hat das Verbrechen, das sie verdient“, glaubtmonade-Verleger Oliver Schwarzkopf, und, folgt man seiner Logik, ist Berlin als Hauptstadt auch die Hauptstadt des Verbrechens. Der gebürtiger Ostberliner Schwarzkopf hat in Leipzig Theaterwissenschaften studiert und abgebrochen („zu langweilig“) und mit Kompagnon, Lektor und Autor Frank Goyke vor zwei Jahren die Reihe „Leipzig Crime“ aus der Taufe gehoben. Mittlerweile ist „Leipzig Crime“ eingestellt, Schwarzkopf samt Goyke an seinen Geburtsort zurückgekehrt und damit in guter Gesellschaft: „Denn nur in Berlin“, so der Verlagsprospekt, „treffen sich Altlasten aus Ost und West, um ihre Vereinigung zu feiern.“
Tatort Berlin – für die Jungverleger von edition monade ein Muß: „Gerade die Krimis, bei denen der soziale Hintergrund ebenso eine Rolle spielt wie das Lebensgefühl der Akteure, lassen sich in Berlin am besten erzählen“, gibt sich Oliver Schwarzkopf überzeugt. Sein Erfolgsrezept heißt „fäktschn“: eine „gesunde“ Mischung aus realen Ereignissen und erdachter Handlung. „Das Verbrechen allein hat eben keine Aussage“, sagt Schwarzkopf, „eine Geschichte um der Ideologie willen aber auch nicht.“ So kommen im überaus spannenden Olympia-Krimi „Schneller, höher, weiter“ die Olympia-Gegner ebenso schlecht weg wie die Senatsmanager und im Kreuzberg Krimi „Karaoke Punk“ bricht sich mit Tempo und überzeugendem Plot die Moral der Szene an der Selbstironie ihres Protagonisten. „Mit den Geschichten“, sagt Schwarzkopf, „geht es uns weder darum, politisch korrekte Bücher zu machen, noch dem Lifestyle das Wort zu reden.“
Der Erfolg, so scheint es, gibt den Krimineulingen recht. Die erste Auflage (5.000 Stück) von „Feuer“ von Wolfram Kempe und „Grüße vom Boss“ von Frank Goyke muß bereits nach einem Jahr nachgedruckt werden. „Die haben tatsächlich eine Marktlücke entdeckt“, attestiert auch Iris Schweigert, Inhaberin der einzigen Berliner Krimibuchhandlung „Tatort“. Lutz Göllner, Krimi- Kenner und -kritiker, weiß warum: „Die monade-Krimis liegen quer zu allen Trends.“ Vom aussterbenden Sozio-Krimi der Siebziger, Marke -ky, fehle ihnen der pädagogische Zeigefinger, vom True- crime der Achtziger die blutrünstige Effekthascherei. Insgesamt, so Göllner, seien Regionalkrimis, wie es sie im Ruhrgebiet oder in Hamburg schon lange gebe, weniger den Schwankungen des Marktes unterworfen als der Rest des Genres.
Bleibt die Frage, warum nicht andere eher aufgriffen, was gewissermaßen auf der Straße lag. Barbara Schulz vom „Rotbuch-Verlag“ jedenfalls möchte sich nicht unnötig auf Berlin beschränken, schließlich sei das Verbrechen international. „Außerdem“, ergänzt sie, „ist das Rotbuch-Krimi-Image zwar großstädtisch und zeitgenössisch, aber auch gegen den Strich des Genres, und das läßt sich nicht regionalisieren.“ Dennoch, so die Verlegerin, habe Pieke Biermann mit „Herzrasen“ nunmehr ihren dritten Berlin-Krimi bei Rotbuch geschrieben.
Ganz auf den Krimi made in DDR (mit internationalen Einsprengseln) setzt dagegen der „Verlag Neues Leben“. Seine Krimi-Reihe D.I.E. (Delikte, Indizien, Ermittlungen) atmet, so Geschäftsführer Matthias Oehme, „immer noch den DDR-Stallgeruch“. Entsprechend wolle man beim Verlag die Leser halten, die seit 1970 der Reihe treu geblieben seien. „Wenn eine neue Reihe eröffnet wird“, so Oehme, „dann sind das Krimis zur Fernsehsendung Polizeiruf 110.“
Daß so manche Abneigung der Krimibranche gegenüber Krimis made in Berlin eine andere Ursache hat, pfeifen freilich die Spatzen von den Dächern. Mit dem 1992 im „Morgenbuch-Verlag“ erschienenen „Berlin-Krimi“ der einstigen rot-grünen Wissenschaftssenatorin Barbara Riedmüller wurde der potentielle Name für eine solche Reihe nachhaltig verunglimpft. „Berlin-Krimi“ ist, wenn überhaupt, ein gnadenlos schlechter True-crime, dergestalt, daß er das mentale und sprachliche Geschick der Berliner Politik widerspiegelt. Vorschlag für den Morgenbuch-Verlag: Eine Krimireihe mit dem Titel „Boaring Berlin“. Uwe Rada
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