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Medien als Kriegsverbrecher

■ Die Manipulation der öffentlichen Meinung aus Angst oder Opportunismus

Der Krieg in Ex-Jugoslawien begann in den Massenmedien. Fernseh- und Radiosender waren die ersten Angriffsziele der Artillerie. Verstärker in Slowenien wurden bombardiert und in Kroatien besetzt. In Bosnien besetzte und übernahm die jugoslawische Armee buchstäblich sämtliche Sender und Verstärkerstationen; der Hum-Verstärker am Stadtrand von Sarajevo wurde solange bombardiert, bis er endgültig kaputt war. Aber die Medien sind nicht nur Opfer in diesem Krieg. Sie sind auch Täter. Sie sind wahrscheinlich für ebenso viele Tote, Verwundete und Flüchtlinge verantwortlich wie die Streitkräfte.

Der Propagandakrieg ist eine mächtige Waffe im Arsenal der Serben. Die offiziellen Medien übertönen die wenigen unabhängigen Stimmen, die noch geblieben sind, und sind daher zum einzigen Faktor geworden, der die öffentliche Meinung bildet. Sie sind den Launen des Präsidenten Slobodan Milošević vollkommen untertan, dessen geringste Tätigkeit noch im letzten Detail alltäglich zur Hauptsendezeit den Bildschirm füllt. Auf dem zweiten Platz liegt der Präsident von Restjugoslawien, Dobra Ćosić. Die offizielle Politik wird ständig seiner Haltung angepaßt: was gestern Hochverrat war, ist heute der Schlager des Tages.

Um Hochverrat geht es auch in der Kampagne gegen die wenigen unabhängigen Stimmen in den Medien. Das unabhängige Belgrad TV, die Tageszeitung Borba und die Wochenzeitung NIN sind die wichtigsten unter denen, die für ihre Berichterstattung von der anderen Seite der Front leiden mußten. Für Berichte über den Effekt des Krieges auf Nicht-Serben und ihren Gebrauch unabhängiger und nicht-regierungsamtlicher Quellen handelten sie sich Drohungen und Einschüchterungsversuche ein. Dennoch sind sie weiterhin die einzigen, die der Bevölkerung überhaupt noch objektive Berichte liefern, da alle anderen Informationsquellen, besonders Fernsehen und Radio, unter staatlicher Kontrolle, das heißt unter Kontrolle von Miloševićs Partei sind.

Die Bevölkerung Serbiens, Montenegros und der serbisch besetzten Gebiete wissen kaum, was in ihrem eigenen Land vor sich geht. Über die Außenwelt kommt so gut wie gar nichts mehr bei ihnen an. In Kroatien sind die Verhältnisse nahezu gleich, und in Bosnien-Herzegowina ist es nur wenig besser.

Die Manipulation der öffentlichen Meinung durch die Medien kann man gut am Beispiel der Berichterstattung über die humanitäre Hilfe der UN unter General Morillon aufzeigen. Der General hatte, nachdem er in Sebrenica angekommen war, erklärt, daß er die Stadt erst wieder verlassen werde, wenn alle Zivilisten evakuiert seien. Innerhalb weniger Tage hieß es im serbischen Fernsehen und Radio, der General sei von muslimischen Militärs als Geisel genommen worden. Erst als man die Wahrheit nicht länger verschweigen konnte, änderten die Medien ihre Berichterstattung.

Das Fernsehen läßt einen sogar das Sehen verlernen: Kommentare sprechen nicht selten vollkommen an den Bildern auf dem Bildschirm vorbei und sind immer darauf aus, den Haß auf den Feind zu schüren. Aus Bildern von serbischen Toten und Sterbenden werden die schrecklichsten Szenen ausgesucht, um damit die Barbarei des Feindes belegen.

„Der Feind“ – das sind nicht nur die anderen ethnischen Gruppen, sondern das ist die ganze Welt, „die uns haßt, nur weil wir Serben sind“. Achtzig Prozent der Sendezeit ist dem Krieg und der Politik gewidmet. Wirtschaftliche und kulturelle Nachrichten und Unterhaltungssendungen sind nahezu vollkommen verschwunden. Die internationalen Sanktionen werden für Serbiens sämtliche Probleme verantwortlich gemacht, ohne je auf Serbiens Aggression in Bosnien zurückgeführt zu werden.

Die staatlichen Fernseh- und Radiosender können überall in Serbien und Montenegro empfangen werden, während der Empfang der wenigen unabhängigen Sender auf Belgrad und seine unmittelbare Umgebung beschränkt ist. Auch die regionalen Sender sind inzwischen unter Regierungskontrolle. Wenn sie es nicht sind, beschränken sie sich auf Musikprogramme, um gar nicht erst in die Ziellinie zu geraten.

Die Presse hatte in Ex-Jugoslawien nie den gleichen Einfluß wie die elektronischen Medien. Trotz Schulpflicht kann nahezu die Hälfte der Bevölkerung kaum lesen und schreiben. Inzwischen kommt hinzu, daß man durch den Krieg verarmt ist und der Vertrieb auf Serbien und Montenegro beschränkt ist. Das bedeutet, daß die ohnehin geringen Verkaufszahlen noch dramatisch gesunken sind. Die Auflage der meistverkauften Tageszeitung Vecernje novosti ist von 350.000 auf 40.000 gefallen; die fünf populärsten Zeitungen von Serbien und Montenegro haben zusammen eine Gesamtverkaufszahl von nur 300.000. Die Zeitungen mit dem geringsten politischen Einfluß sind in Privatbesitz: der Staat kontrolliert die Papierverteilung und sorgt dafür, daß nur drucken kann, wer auch pariert.

Massenentlassungen in den staatlichen Medien und permanente Belästigung derer, die außerhalb des öffentlichen Sektors arbeiten, sind zusätzliche Mittel, mit denen ein totalitäres Regime die Dinge im Griff hat und gleichzeitig die Illusion aufrechterhält, das Recht auf freie Meinungsäußerung sei gewährleistet. Zu Anfang dieses Jahres wurden 2.000 Journalisten von Rundfunk und Fernsehen angeblich aus Kostengründen entlassen. Nur wenige Gesichter aus der Vorkriegszeit sind weiter auf dem Bildschirm zu sehen. Die massiven Proteste der unabhängigen Journalistengewerkschaft, die die Entlassungen zu Recht als illegal anprangerte, halfen nichts. Den Entlassenen werden die Hälfte ihrer Gehälter und die Sozialabgaben bezahlt, Arbeit jedoch haben sie nicht. Nur wer in der unabhängigen Presse für wesentlich weniger Geld Arbeit gefunden hat kann weiter schreiben. Mit den Drohungen nicht nur des Regimes, sondern auch von „Patrioten“, die „darauf brennen“, mit dem „Abschaum“ abzurechnen, müssen sie leben lernen. Natka Buturović

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