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Wand und BodenPräzision in der Wucht des Augenblicks

■ Kunst in Berlin jetzt: Smolka/Spalthoff, Kriegerowski, Saouli, Walker

Für fünf Monate ist Kreuzberg wieder um ein Stückchen Kunst- im-öffentlichen-Raum reicher. Am Ende des Parkwegs, der in den Bezirk Treptow führt, sind 68 Beton-Scheiben mit jeweils dem komplett eingeprägten Alphabet inklusive Satzzeichen an ein Geländer montiert worden. Die überdimensionale mühlsteinartige Schreibmaschine funktioniert wie eine Art einarmiger Bandit, bei dem Besucher durch Rotation der Räder ihre eigenen Stellungnahmen gestalten können, wie in einem Gästebuch unter freiem Himmel.

Den Anfang haben allerdings Margund Smolka und Beate Spalthoff selbst gemacht: „Der Hirnmantel ist zusammengefaltet – Windungen und Furchen bilden sich.“ Die lexikalische Beschreibung, wenn auch als „Hinweis auf die mögliche Handhabung der Maschine“ gedacht, verführt kaum zu einer phantasievoll anknüpfenden Textproduktion. Die einen begnügen sich damit, die schwarz hervorgehobenen Buchstaben der künstlerischen Ur- Schrift über die Hirnforschung zu rekonstruieren, andere trotzen auf ihre Art, indem sie die Walzen wie einen gewöhnlichen Baumstamm nutzen und flüchtige Widmungen zusammenmischen: „André ich liebe dich“ steht an diesem Mittwoch statt „falte“ und „Windung“ geschrieben, und gerade erst hat sich „Peter“ auf den Rollen im vorderen Satzteil verewigt, nachdem er über das Smolka-Spalthoffsche Diktum vergeblich gerätselt hatte. Noch streitbarer verhalten sich aber diejenigen, die zusätzlich zu den vorgegebenen Künstlerinnen-Lettern weitere Buchstaben mit dem Edding eingeschwärzt haben. Dadurch endet der Text irgendwann im Non-sense, wenn alle Zeichen nachgeschwärzt worden sind, und das Objekt wäre als zweckfremder Gegenstand in eine zweite Natur entlassen. Doch soweit wird es nicht kommen, denn bereits im November dieses Jahres soll die Außenplastik aus dem Görlitzer Park wieder entfernt werden.

Auch Christine Kriegerowski operiert mit dem Schriftverkehr, allerdings im Transfer von weiblichem Rollenverhalten und dessen öffentlicher Repräsentation. Kriegerowski entwirft Briefmarken zum Thema „Frauenrecht“, die über den symbolischen Stellenwert der Emanzipation hinaus in Alltagskultur überführt werden. Inzwischen existiert bereits eine ganze Kiste voll mit Sonderbriefmarken von Kriegerowski, die in der all girls gallery auf einem kleinen Sockel ausgestellt sind. Sie behandeln Frauenthemen auf eine sehr eindringliche Weise: von Bildmotiven zur Hysterie bis zur o.b.-Gebrauchsanweisung in Frankierform.

Im nächsten Schritt hat die Künstlerin diese Entwürfe zur Weiblichkeit wieder nach Außen getragen und etliche Briefe an Kolleginnen in allen gesellschaftlichen Bereichen geschickt, die mit den eigenproduzierten Briefmarken „freigemacht“ wurden. Etwa 60 Prozent wurden von der Post zugestellt, immerhin. Von Frau Dr. Hanna Renata Laurien, MdA, kam sogar eine Rückantwort mit der Bemerkung „Was soll der Unsinn!“ Nun, die Kunst- Marken verhalten sich wie ein Supplement zu der offiziellen Briefmarkenserie, mit der „die Bundespost etwas für die Befreiung der Frauen tut“, so Kriegerowskis Ansatz, aber: „Die Serie beweist eher, daß Frauen nicht als Heldinnen taugen, weil niemand sie kennt.“ Damit beschäftigt sich eine dritte Arbeit: In 24 Postkästen sind kurze Zitate aus den Biografien der postal als darstellungswürdig empfundenen Frauen eingeklebt, die sich, von Teelichten ausgeleuchtet, allerdings eher wie sakrale Botschaften lesen: Lise Meitner starb bei ihrem Neffen in Cambridge, Clara Schumann wurde zur letzten Ruhestatt neben ihrem Robert gebettet, der sie zeitlebens als Instrument benutzt hatte. Teils bricht sich das Pathos in den Aussagen ironisch, wenn es beispielsweise über Luise von Preußen heißt: „Sie starb den Tod des Gerechten.“

„Freimachen“, bis 5.9., Mi-So 16-19 Uhr. Kleine Hamburger Straße 16.

In ihrer Trauerarbeit hat Salah Saouli dagegen sehr schweres Geschütz aufgefahren: „Am Anfang war der Tod“ – so das Thema der Libanesin im Straßenbahndepot der BVG. Mit strengen Bildtafeln nähert sie sich dem in der aktuellen Krise fast schon vergessenen Kriegsgeschehen in ihrer Heimat an, ohne ihre subjektiven Erfahrungen in den Vordergrund zu stellen. Die Gewalt wird in der Objektivierung vollzogen. Die Mixed-Media-Arbeit „Tansiel“, eine überdimensionale Schriftrolle, nimmt den Ort in der Ferne als abstrakte Metapher, bei der Elemente der Arte Povere mit archaischen Zeichen zusammenfallen. An beiden Enden der Rolle wird das Papier mit langsam oxydierendem Zinkblech eingeklammert. Das rohe Material steht in Spannung zu den gestisch hingeworfenen arabischen Schriftzeichen, deren unruhige Linienführung sich in den Rostspuren des Metalls verlängert. Ein gefundenes Vitrinenglas, das im Zentrum der Tafel angebracht wurde, hebt den Charakter des Bruchstückhaften bei der historischen Spurensuche noch stärker hervor. Die Ordnung ist einzig formal hergestellt, in Wirklichkeit befindet sie sich weiterhin im Verfall. Auf einer sechsteiligen Serie mit Schaukästen sieht man Bilder aus Beirut, weggesprengte Hochhausreihen, die mit Lyrik versehen wurden: „Überraschend kommt die Zerstörung aller Dinge.“ Um diesen Effekt zu bebildern, hat Saloui den Moment der Explosion in abfotografierten Videostills festgehalten. Es liegt eine erstaunliche Präzision in der Wucht des Augenblicks, als würde sich im Moment der Sprengung aus dem undifferenzierten Chaos tatsächlich ein Neubeginn ableiten lassen.

Bis 5.9., Do-So 16-20 Uhr, Wiebestraße 29-39.

Una Walker beschäftigt sich mit dem Konflikt in Nordirland ähnlich geschichtskritisch, ohne ihn aber auf die Darstellung der Gewalt und des Untergangs zu reduzieren. From the attic of the Empire“ versteht sich schon im Ausstellungstitel als eine Archäologie des Dachbodens, den das englische Empire den Iren aufgepfropft hat. Bei Walker wird dieser symbolische Bau konkret: Sie verbindet die viktorianische Herrschaftsarchitektur mit archaischen Reliquien, ein an die Galeriewand skizzierter Säulengang wird von drei keltischen Hochkreuzen unterbrochen, es sind in der Tat Spannungsbögen. Die gebürtige Nordirin konstruiert auf diesem Wege eine kollektive Gedenkstätte, bei der sich die Widersprüche innerhalb des Religions- und Herrschaftskonflikts nicht länger gegenseitig ausschließen oder verdrängen.

Auch eine Installation aus rotem Bühnenvorhangstoff und an die Wand gepinnten Portraitfotos läßt diese Oppositionsfelder offen. In der Vielzahl von aufgeklebten Zeitungsausschnitten bleibt nur eine Zettellandschaft aus Gesichtern übrig – flüchtig, fragmenthaft und anonym. Die Dramaturgie zielt nicht auf die Stilisierung von Opfern ab, sie verhält sich vielmehr dem Kollektiv gegenüber indifferent. Der Bürgerkrieg kann nicht in der Galerie entschieden werden. Aus dem Hintergrund singen Kinder zur Beruhigung Lieder über das Nirvana.

Bis 11.9., Galerie + Edition caoc, Schliemannstraße 23, Di-Sa 14-18 Uhr. Harald Fricke

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