: Auf nach Tunis
■ Ostdeutsche Filmprojekte weichen neuerdings in den Mittelmeerraum aus. Gespräch mit dem Brandenburger Filmproduzenten Thomas Wilkening anläßlich des "Euro Aim"-Treffens in München
Euro Aim ist eine Einrichtung der EG, die unabhängigen europäischen Filmproduzenten, Finanziers und Verleihern ein Netzwerk mit Informationstechnologie (eine Datenbank mit Filmstoffen), Filmmessen in Cannes, Monte Carlo oder Berlin und Treffpunkten zur Verfügung stellt. Bei den jährlich stattfindenden „Euro Aim Rendez-Vous“ stellen Produzenten teilfinanzierte Projekte vor, Banker suchen Anlagemöglichkeiten, Sales Agents schätzen die Chancen einer Produktion ab. Das letzte dieser „Rendez-Vous“, in dessen Rahmen die taz mit Thomas Wilkening sprach, fand am vergangenen Wochenende in den Münchener Bavaria Studios statt. Interessanterweise waren bei dieser Gelegenheit die Produzenten in eher mittelklassigen Hotels untergebracht, während die Presse und die Banker in den Luxusetablissements der Stadt logierten. Produzenten fuhren mit der S-Bahn, die anderen wurden chauffiert; dabei sind es gerade die Produzenten, für die solche Treffen erhebliche finanzielle Aufwendungen darstellen, während der Rest Spesen abrechnen kann ...
taz: Herr Wilkening, gibt es noch eine eigenständige ostdeutsche Filmbranche?
Thomas Wilkening: Das konzentriert sich auf die alten Zentren, speziell Brandenburg, wegen Babelsberg, und Ostberlin, wo früher der Deutsche Fernsehfunk angesiedelt war. Auch in Thüringen, Mecklenburg oder Sachsen, wo das DEFA-Trickfilmstudio war, werden noch kleinere Projekte realisiert. Filmproduzenten als eigenständigen Berufsstand gibt es wohl nur in Brandenburg, etwa ein Dutzend, von denen allerdings nur eine Firma – nämlich meine – Spielfilmprojekte mit siebenstelligen Summen betreibt. (Wilkening hat „Herzsprung“ und „Die blaue Blume“ produziert, die Red.) Am meisten tut sich im Bereich Dokumentarfilm, was auch mit der DEFA-Tradition zusammenhängt und was die Brandenburgische Filmförderung gezielt unterstützt. Für die Wende war das sehr wichtig, daß immerhin jemand die Chronistenpflicht übernimmt, wenn schon niemand mehr Spielfilme darüber sehen will.
Man munkelt in der Branche, den „Ostlern“ fehlte das produktionstechnische und kaufmännische Know-how ...
Wir haben vor zwei Jahren einen Verband gegründet, um gegenüber der Politik und den Fördergremien unsere Interessen besser vertreten zu können, und bisher mußte von diesen Gründungsmitgliedern noch keiner aufgeben. Natürlich ist die Spielfilmtradition, aus der wir kommen, kulturell und nicht wirtschaftlich ausgerichtet – das geht wegen der Kapitalschwäche ja auch gar nicht. Aber es ist keineswegs so, daß die DEFA ein reiner Staatsbetrieb war, da mußte man genauso mit Bankkrediten, Drehbuch, Drehplan und Kalkulation arbeiten wie ein privates Studio. Bei der DEFA oder beim Fernsehen bekam man eine hervorragende Ausbildung; die Umstellung war gar nicht so schwer.
Gibt es bestimmte Themen, auf die ostdeutsche Regisseure eher anspringen als ihre Kollegen im Westen, zum Beispiel Deutsch-Deutsches?
Auf unserer Seite gibt es dieses Interesse; denn wo sind die Spielfilme über die Wende? Aber wenn man einmal nach den Fernsehanstalten geht – und das müssen wir, weil wir auf einen potenten Koproduzenten angewiesen sind – dann gibt es da überhaupt kein Interesse an Ost-West-Themen. Es ist leichter, eine teure Kinoproduktion durchzusetzen als eine aktuelle Fernsehproduktion. Von der Filmförderung oder beim Bundesfilmpreis – also die Töpfe, auf die wir dann alternativ angewiesen sind – ist wieder keine ostdeutsche Produktion vorgeschlagen worden, das heißt, wir merken das Einschmelzen der Kulturbudgets vielleicht eher noch als andere.
Was nutzt Ihnen so etwas wie Euro Aim?
Nach der Wende konnten wir mit unseren Stoffen noch bei westdeutschen Koproduzenten landen, aber ich habe jetzt wieder einen deutsch-deutschen Stoff und finde auf der nationalen Ebene einfach niemanden. „Euro Aim“ hatte in Potsdam eine Präsentation und zufällig ist mir das aufgefallen. Das Filmprojekt, das ich mitgebracht habe ist eine Aufarbeitungs- und Liebesgeschichte von Werner Heiduszek über einen Schriftsteller, der von der Postwende auf die Fünfziger zurückblickt. Ein Teil spielt im Mittelmeerraum, in Griechenland, aber aus Griechenland ist nun zufällig überhaupt kein Financier hier. Merkwürdigerweise hat dann ein tunesischer Produzent Interesse bekundet, und nun überlegen wir schon, ob man es dann womöglich in Tunesien drehen muß.
Wird also künftig im ostdeutschen Film mehr gereist?
Nein, keine unmotivierten Reisen, wie man es aus deutschen Filmen kennt, die aus verschiedenen Länderförderungen stammen. Vielleicht müssen wir mehr im Nahen Osten arbeiten; da leben sehr viele Menschen, da gibt es potente Fernsehanstalten. Grundsätzlich glaube ich, daß man Partner außerhalb Deutschlands eher für einen Film interessiert, wenn man sie von vorneherein an der Produktion beteiligt und nicht nachher mit dem fertigen Produkt ankommt; dann kümmern die sich auch mehr um die Auswertung eines Films. Das Gespräch führte mn
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen