piwik no script img

■ Filmstarts à la carteZigaretten, Schnaps und real Menschlichkeit

Logischerweise ist jetzt allenthalben Kriegsende zu sehen, im weitergehenden beschäftigt man sich mit Gewalt schlechthin, und wer es noch genauer wissen möchte, sollte höchstwahrscheinlich zu „Brown Shadows“, einer Installation und Performance des Tanztheaters Théatre Danse Grotesque tatoeba im Podewil hingehen (obwohl der Abend eh um ist, wenn man den Namen fertig ausgesprochen hat). Die Ankündigung heißt: „Das Theater tatoeba macht deutlich, wie lang die Schatten des Nationalsozialismus 50 Jahre nach Kriegsende in unsere Zeit hineinwirken.“ Dazu braucht man sich doch nur leptosome junge Menschen vorzustellen, die ihre El-Greco-haften Arme in die Luft renken und sich gaaaaaanz lang machen – und schwupps geht einem der ganze gebotene Ernst der Lage verloren.

Das ist nicht schön und soll nun hier auch ein Ende haben. Schließlich ist nichts damit gewonnen, wenn Gedenktage verlacht werden. Gezeigt werden im Arsenal, Babylon, in der Brotfabrik und anderswo die wichtigsten Trümmerfilme: Rosselinis Rom, offene Stadt, mit dem ich mich immer weniger anfreunden kann, je öfter ich ihn sehe: die Kollaborateurin ist eine heroinabhängige, die Nazis sind alle Lesben und Schwule, die genüßlich und dekadent Sekt nuckeln und schmatzen, während sie foltern (die Sache mit der Dekadenz wird dann bekanntermaßen bei Visconti und bei Calvanis Nachtportier wiederaufgenommen. Ein ganz eigenes Thema, wie es wohl zu dieser seltsamen Verknüpfung gekommen ist ... Als müßte sich der nichtfaschistische Rest der Menscheit mit Askese in Schach halten, um nicht auch zum Nazi zu werden ... oder? Sachdienliche Hinweise nimmt jede beliebige taz-Filmredaktion in Berlin entgegen). Die Filmreihe im Arsenal enthält die üblichen Verdächtigen: Marcel Ophuls, Claude Lanzmann, Erwin Leiser, Louis Malle, Alain Resnais und so weiter.

Ab und an taucht auch Heiner Carows Defa-Film Die Russen kommen aus dem Jahr 1968 auf. Nachdem auf dem 11. Parteiplenum des ZK der SED 1965 mit einem Schlag zwölf Filme verboten worden waren, nachdem man allenthalben der Linie der Chruschtschow-Gegner eingeschwenkt war, ging die Defa in größerem Stil in die Knie. „Skeptizismus“ war ebenso zu verbannen wie Berliner Umtriebigkeit oder das anarchistische Chaos um den Baubrigadier Balla in Spur der Steine, der sich heutzutage auch im Westen größter Beliebtheit erfreut. Wo waren wir stehengeblieben? Die Russen kommen erzählt die Geschichte eines jungen Ostseeburschen, eines Pimpfes, der im letzten Kriegsjahr einen geflohenen russischen Soldaten an den deutschen Lynchmob verrät und dafür das EKII erhält. Als er einen Einsatz mit dem Volkssturm fährt, kriegen ihn ein paar sehr nette Russen, die ihm Zigaretten, Schnaps und real Menschlichkeit offerieren – bevor eine deutsche Landsergranate sie in der Luft zerfetzt. Der Film sieht irgendwie gut aus, hat dieses Breitwandformat und dieses Ost- Schwarzweiß. Aber ein Holzschnitt bleibt er trotzdem.

Andreas Fischer hat einen seeeeehr langsamen, dreißigminütigen Film über den Fotoladen seiner Eltern gedreht, inklusive, wie alles anfing, wie es dann in der Mitte war und wie es aufhörte. Es wird Sie wenig überraschen, daß das Ganze eine gefilmte Fotostory ist, also im wesentlichen gestellte Fotos abgefilmt werden, die aber zum Teil von grotesk-toupethafter Schönheit sind, so wie die Poster, die bei türkischen Friseuren hängen und an denen sich der Meister gern orientiert. Etwas starr geht das Ganze vor sich, gerät dann aber in Wallung, als ein Video vom Regisseur als ganz, ganz jungem Mann zum Abspiel kommt.mn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen