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„...daß der so ein hohes Tier war“

■ Nach dem Attentat auf Gerold von Braunmühl rätselt nicht nur die Nachbarschaft: Warum ausgerechnet er? / Noch keine heiße Spur bei den Ermittlungen / Kaum Polizeikontrollen - Viele Neugierige

Aus Bonn Oliver Tolmein

„Spezialisten des Bundeskriminalamtes bei der Spurensuche“ präsentierte stolz die Tagesschau am Samstagabend, knapp 24 Stunden nachdem der Genscher–Vertraute, Ministerialdirektor Dr. Gerold von Braunmühl, erschossen wurde. Die Bilder konterkarieren die hochtrabende Ankündigung: Man sieht drei Männer ziellos ins Gebüsch greifen, als suchten sie Ostereier. Wie ver–rückt die Dimensionen bei diesem Anschlag sind, wird auch am Tatort offensichtlich: Daß die Attentäter in der Buchholzstrasse im Bonner Stadtteil Ippendorf ausgerechnet mit Gerold von Braunmühl den „aggressiven BRD– Staatsapparat in seiner Funktion als Kernstaat der politischen Formierung Westeuropas in der imperialistischen Kriegsstrategie“ angreifen wollten, wie sie in ihrem Bekennerbrief schreiben, mutet grotesk an. Hier, halb im Grünen, ist die Metropole weit, hier sind mühsam ersparte, schlicht gebaute Eigenheime, der Reihenhausgröße kaum entwachsen, aneinandergestellt. Die Gärten sind klein, die Hecken sorgfältig gestutzt. Eine miefige Eckkneipe komplettiert die „Traute–Heim“–Szenerie. „Daß der Braunmühl so ein hohes Tier war, daß man ihn umbringt, hätte ich nicht gedacht.“ Nicht nur die ältere Frau, die keine hundert Meter vom Tatort entfernt am Samstag nachmittag Blumen gießt, wurde überrascht. Auch das BKA, der Verfassungsschutz und die Ministerialbürokratie tönten unisono, der Name des Ministerialbeamten habe weder auf einer der in konspirativen Wohnungen gefundenen Listen gestanden, noch habe es im voraus irgendwelche Erkenntnisse über eine Gefährdung seiner Person gegeben. Daher hatte von Braunmühl weder Personenschutz, noch traf er eigene Sicherheitsvorkehrungen - im Gegenteil: Regelmäßigkeit bestimmte seinen Tagesablauf. Gegen 7.30 Uhr verließ er sein Haus, fuhr ins Auswärtige Amt, gegen 21 Uhr ließ er, stets beim gleichen Taxiruf, einen Wagen ordern, der ihn nach Hause bringen sollte. Die meisten Nachbarn haben wenig mit den Braunmühls zu tun: mal ein Gespräch über den Gartenzaun, eine Begegnung beim Einkaufen. In der einzigen Kneipe der Gegend, dem wenige Meter entfernt gelegenen „Buchholz–Stübchen“, in dem am Samstag die Boulevard–Journalisten Standort bezogen haben, waren die Braunmühls keine Gäste. Erst jetzt, nach dem Anschlag, sind die Braun mühls Gesprächsthema in der Nachbarschaft. Die Nachbarn haben Blumen an der Stelle niedergelegt, wo Gerold von Braunmühl zusammengebrochen und gestorben ist, nachdem ihm die Täter wahrscheinlich aus nächster Nähe noch zweimal in den Kopf schossen. Die in der Nähe wohnenden Kinder flitzen den ganzen Sonntag nachmittag über durch die Buchholzstraße, fotografieren mit Pocketkameras den einsam vor dem Haus Nr. 34 a, das die Braunmühls vor sieben Jahren gebaut haben, stehenden Polizei–VW–Bus und versuchen, mit dem halben Dutzend BKA–Beamte fachzusimpeln: „Wie groß ist denn so ein Revolver? Warum haben die Terroristen keine Maschinenpistole benutzt?“ Antwort bekommen sie keine, die BKA–Beamten sind hier, um selbst Fragen zu stellen. Sie gehen von Haus zu Haus auf der Suche nach Zeugen. Erzählen können die meisten etwas, schließlich liegt Freitagabends zwischen 21.30 Uhr und 22 Uhr noch kaum jemand im Bett. Die wichtigsten Hinweise kommen aber wohl von dem 24jährigen Studenten, der das Taxi fuhr und den die Täter entkommen ließen. Trotzdem fällt die Personenbeschreibung, die das BKA gibt, ausgesprochen ungenau aus, unklar ist sogar, ob nach zwei Männern oder nach einem Mann und einer Frau gefahndet wird. Bemerkenswert unauffällig läuft auch die Fahndung selbst: Im Köln/ Bonner Raum sind kaum mehr Streifenwagen als sonst unterwegs, Straßensperren gibt es in größerem Umfang genauso wenig wie Durchsuchungen oder Personenkontrollen. Die Bewohner des Hauses Nr. 41, in dessen Nähe Gerold von Braunmühl starb, hatten zuerst vermutet, es spielten wieder mal Kinder mit Schreckschußpistolen: „Erst als dann jemand ganz furchtbar schrie, haben wir nach draußen geschaut“. Das Fluchtauto, nach Angaben von anderen Zeugen ein neuer roter Opel Kadett, haben sie nur gehört: Der müsse wohl in der Seitenstraße „Auf dem Essig“ gestanden haben, nicht weit entfernt von der Botschaft der CSSR. Inzwischen rückt eine kleine Daimler–Benz–Kolonne an: Die Bundesanwaltschaft und weitere BKA–Leute suchen für eine halbe Stunde die Hinterbliebenen auf, denen kurz nach Bekanntwerden der Tat auch Außenminister Genscher kondoliert hat. „Hier ist ein Betrieb wie am verkaufsoffenen Samstag in der Innenstadt“, stöhnt einer der Polizisten im VW–Bus. Damit wenigstens die zahlreichen und voll besetzten Privatwagen das Terrain verlassen, wird die Buchholzstrasse gegen 17 Uhr wieder gesperrt. Zu sehen ist ohnehin nicht mehr viel. Die Botschaft, die Bundesjustizminister Engelhard am Samstag verkündete - „Dieser Anschlag galt uns allen“ -, ist bei den Bewohnern der Buchholzstraße auf jeden Fall angekommen. In den kleinen Gesprächsgruppen, die sich immer wieder aufs neue zusammenfinden, konzentriert sich das Interesse jetzt wieder auf Alltägliches: „Es ist schon schlimm, wenn einem der Mann bei einem Unfall umkommt, aber so - das finde ich schrecklich.“ Ein Zeitungsverkäufer, der auf seinem Rad vorbeikam, war eher verstimmt als erschüttert: „Nur noch so wenig Leute hier.“ Er hatte gehofft, mehr als nur drei Zeitungen zu verkaufen.

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