Üppiges Gelage für tamilische Flüchtlinge

■ Mitglieder aus neun schweizerischen Kirchengemeinden haben am Donnerstag Patenschaften über 40 abgelehnte tamilische Asylbewerber übernommen / Entschlossene Stimmen beim „Banquet Republicain“

Aus Bern Th. Scheuer

Zwei Kerzen auf dem Asphalt der Einfahrt beleuchten ein Pappschild mit der Aufschrift „Banquet Republicain“; der Pfeil darunter weist auf das Gebäude der protestantischen Kirchengemeinde Bethlehem. Bethlehem ist ein Ortsteil der schweizerischen Hauptstadt Bern. Im großen Gemeindesaal drängen sich am Donnerstagabend an die dreihundert Menschen um die Tische, darunter Lokalprominenz, Advokaten, Kirchenleute, Ärzte, einige lokale Abgeordnete - und: auffallend viele Tamilen. Serviert wird ein asiatisches Reisgericht mit Hühnchen und Ei. Die Tradition des „Banquet Republicain,“ auf die man sich hier besinnt, stammt denn auch aus dem genußfreudigeren Nachbarland Frankreich: Dort waren im 19. Jahrhundert unter Napoleon III., als die Restauration die Errungenschaften der französischen Revolution zunichte machte, öffentliche politische Versammlungen verboten. So traf man sich eben zu ausgedehnten Essen, bei denen Reden gehalten und die Ideen ausgegoren wurden, die dann 1948 zum Durchbruch kamen. Aktueller Anlaß für den kalorienreichen Diskurs ist die drohende Zwangsausweisung von 40 tamilischen Flüchtlingen. Rund 1.000 Tamilen, deren Asylgesuche durch alle Instanzen abgelehnt wurden, leben derzeit in der Schweiz. Wegen der Bürgerkriegsverhältnisse in Sri Lanka haben die Behörden aber seit längerer Zeit in der Regel von Zwangsausweisungen abgesehen. Vor drei Wochen erhielten nun plötzlich 40 Tamilen ihre endgültigen Ausweisungsbescheide. Vertreter der „Ökumenischen Basisbewegung für Flüchtlinge“ und der „Aktion für abgewiesene Asylbewerber“ (AAA) befürchten, „daß die Behörden mit diesen 40 Menschen ein politisches Exempel statuieren“ wollen. Um deren drohende polizeiliche „Ausschaffung,“ wie die Zwangsausweisung im eidgenössischen Behördendeutsch heißt, zu verhindern, haben am Donnerstagabend in Bern Gruppen von Gemeindemitgliedern aus neun Kirchengemeinden Patenschaften über die 40 Tamilen übernommen. Konkret: Sie haben einige versteckt; mit anderen, die im Asylantenheim leben, wird ständiger Kontakt gehalten. Ein Zugeständnis der Regie rung an fremdenfeindliche Tendenzen in der Bevölkerung wittert Pfarrer Jacob Schädelin, der Gastgeber dieses Abends, in diesem unmenschlichen Verwaltungsakt: „Man steckt dem fremdenfeindlichen Tier in der Schweiz einen Happen in den Mund.“ Aber je mehr man es füttert, desto gefräßiger werde es. Deshalb habe man sich verantwortlich erklärt für die Tamilen: „Wir sind da, um diese Menschen zu schützen.“ Advokat Luc Mentha beleuchtet kurz die juristische Seite des Problems: Strafbar mache sich jeder Schweizer, der das „rechtswidrige Verweilen“ eines Ausländers im Lande unterstütze. „Die Verteidigung der Men schenrechte ist nie illegal“ - kurz und knapp beendet Pastor John Five aus Tucson/Arizona die Paragraphenreiterei. Er, selbst bereits mehrfach gerichtlich belangt, berichtet über die Arbeit des „Sanctuary–Movement“ in den Vereinigten Staaten, jener ökumenischen Basisbewegung der nordamerikanischen Kirchengemeinden, die sich auch die Aktivisten in der Schweiz zum Vorbild genommen haben. Seit im Herbst letzten Jahres die Kirchengemeinde Zürich–Seebach in ihrem Gotteshaus 52 Chilenen Zuflucht gewährte und vor der Rückschickung in die Pinochet–Diktatur bewahrte, wird in Kirchenkreisen vermehrt die Frage des Kirchenasyls diskutiert. Zu entsprechenden Aktionen kam es bereits in Genf, Lausanne und Fribourg. Die jüngste Aktion in Bethlehem, so der kirchliche Sozialarbeiter Rolf Blickle, soll auch „die Behörden unter Druck setzen.“ Dabei setzt er auf ein pikantes Detail: Seit den letzten Regierungsratswahlen im Frühjahr herrscht eine rot–grüne Mehrheit von drei sozialdemokratischen und zwei grünen gegenüber vier christdemokratischen Regierungsräten in der Berner Exekutive. Und just der kantonale Polizeidirektor ist neuerdings ein Grüner! Zwar ist die Berner Polizei in Asylfragen nur ausführendes Organ der Bundesbehörden, doch erhofft sich Rolf Blickle von der neuen Konstellation zumindest einen Zeitgewinn. Ein menschlicher Erfolg war das „Banquet“ auf jeden Fall: „Ich fühle mich glücklich, wenn ich diese ganze unerwartete Solidarität sehe,“ freut sich ein junger Tamile, der seinen Berner Alltag von Angst und Unsicherheit geprägt beschreibt. Pfarrer Hansueli Maurer setzt auf gerade diese zwischenmenschlichen Kontakte zwischen den Tamilen und seinen Gemeindemitgliedern: „Wenn die Flüchtlinge plötzlich zwei Augen haben, ein Gesicht, schmelzen die Vorurteile und der Fremdling wird zum Mitmenschen.“