Südafrika: ein weißes Viertel wird grau

■ In die südafrikanische Ortschaft Troyeville, einem Vorort von Johannesburg, haben sich in den zwanziger Jahren viele Juden, später Portugiesen geflüchtet / Heute wirkt der Ort ziemlich verwahrlost / Die hohe Alltagskriminalität prägt das Stadtbild

Aus Troyeville Hans Brandt

„Ah, Troyeville - du wohnst bei den Proletariern“, scherzte neulich Bennie Mindel, als ich bei ihm Autoreifen kaufte. Es stellte sich heraus, daß der kaum 1,60 m große, quirlige 70jährige Jude selbst in den Zwanziger Jahren in Troyeville zur Schule gegangen war. Dort wohnten damals die armen Juden, die, wie Bennies Eltern, vor der russischen Revolution und der Hungersnot in Litauen nach Südafrika geflüchtet waren. Für sie war Troyeville ideal gelegen - kaum ein Kilometer östlich des Johannesburger Zentrums. Die Juden sind heute in wohlhabendere Vororte umgezogen, doch viele jüdische Firmen haben noch immer im an Troyeville grenzenden Doornfontein ihren Sitz - und die besten jüdischen Leckerbissen gibt es nach wie vor bei „Nusbaums Nascherei“ in der Beit Street. Dennoch macht Troyeville heute einen verwahrlosten Eindruck. Die Stadtverwaltung hat die billigen Einfamilienhäuser abgerissen, die vor einigen Jahren für die weißen Angestellten gebaut worden waren. Auf den zahlreichen verwilderten Grundstücken häuft sich der Müll, und nachts brennen die Feuer der schwarzen Penner und Trinker, die dort leben. Sie sind natürlich nicht das „Proletariat“, von dem Bennie Mindel spricht. Er, der in seiner Jugend Kommunist war, duzt sich noch heute mit seinen schwarzen Angestellten - doch er spricht nicht mehr mit jenem romantischen Funken in den Augen vom Proletariat. Dieser Funke ist heute eher bei schwarzen Aktivisten zu beobachten. Das Proletariat in Troyeville ist ohnehin weißer Hautfarbe und eher für faschistische Kampforganisationen als für den Klassenkampf zu gewinnen. Die „armen Weißen“, wie sie überall genannt werden, sind die Stammwähler je ner ultrarechten Parteien, die für P.W. Botha eine wachsende Bedrohung seiner weißen Machtbasis darstellen. Denn obwohl ihnen seit der Machtübernahme der Nationalen Partei 1949 lange Zeit absolut sichere Jobs in staatlichen und halbstaatlichen Konzernen garantiert waren, werden die „armen Weißen“ tatsächlich wieder arm und arbeitslos. Zunehmende Armut, das bedeutet auch zunehmende Gewalt. Unter Südafrikas Weißen ist die Quote der Familienmorde, der Vergewaltigungen und Kindesmißhandlungen ungewöhnlich hoch. Das gilt auch für Troyeville. Alle paar Wochen wird man durch Schüsse in der Nacht geweckt. Einmal stellte die Polizei im Haus gegenüber einen landesweit gesuchten Betrüger. Vom Schlafzimmerfenster aus war in der Dunkelheit nicht viel zu erkennen. Nur ein paar Tränengasschwaden wehten herüber, und Lichtstrahlen von Taschenlampen huschten durch das Haus. Am nächsten Tag war in der Zeitung zu lesen, daß der Mann sich verbarrikadiert und auf die Polizei geschossen hatte. In dem Kugelwechsel kam der Verbrecher leider ums Leben. Wenige Wochen später heulte nachts ein Automotor, während im Hintergrund Kinder vor Angst schrien. Da jagte ein wütender Vater mit dem Auto seine Kinder über den Bürgersteig und verwilderte Grundstücke, während die Mutter verzweifelt versuchte, gleichzeitig die Kinder hinter einem Zaun in Sicherheit zu bringen und mit ihrem Mann zu reden. Nach zehn Minuten war dann wieder Ruhe, und die Familie ging Arm in Arm ins Haus zurück, als sei nichts gewesen. Die Zahl der Arbeitslosen wächst überall, und in ganz Südafrika klagen Versicherungsfirmen über die wachsende Zahl der Autodiebstähle und Einbrüche. Die Häuser in weißen Gegenden sehen auch zunehmend wie Fe stungen aus: hohe Mauern, scharfe Hunde, Scheinwerfer, Alarmanlagen und vergitterte Fenster. Seit Mitte der siebziger Jahre, seit der Unabhängigkeit der ehemaligen portugiesischen Kolonien Angola und Mosambik, haben die vielen eingewanderten Portugiesen Troyeville einen neuen Charakter gegeben. Es entstand ein kleines Portugal. Die Vorliebe der Portugiesen für geschmiedetes Eisen zeigt sich in verschnörkelten Toren und Zäunen, in blumig vergitterten Fenstern. Meist sind die Häuserfronten auch noch mit farbigen Kacheln verziert, die oft Bilder von Heiligen tragen. In den kleinen Geschäften von Troyeville wird fast ausschließlich portugiesisch gesprochen. Da kann man billig Oliven und Fisch kaufen und dann an der Straßenecke mit der Nachbarin ein Stündchen klönen. Sonntags steht selbst für portugiesische Baptisten ein eigenes Gotteshaus zur Verfügung. Besonders aufgrund ihrer konservativen politischen Ansichten passen die Portugiesen gut nach Troyeville. Doch die schwarze Mehrheit, vor der sie aus Angola und Mosambik flüchteten, dringt langsam auch nach Troyeville ein. Die vielen Penner sind die Stammkundschaft der illegalen Kneipen in der Gegend, wo man auch noch spät in der Nacht durch eine Öffnung im Fenstergitter eine Literflasche Bier bestellen kann. In Troyeville und anderen Wohngebieten der „armen Weißen“, wo die Häuser noch am billigsten sind, wohnen in aller Stille schon viele etablierte farbige Familien. Man bemerkt sie kaum. Sie sitzen nie am Sonntagnachmittag auf der Veranda, ihre Kinder spielen selten auf der Straße. Doch „so fängts immer an“, wettern die rechten Parteien und gehen damit erfolgreich auf Wählerfang. Die „grauen“ Gebiete, wo die strikte Trennung der Wohngebiete nach Rassen langsam untergraben wird, bleiben jedoch bestehen - vorläufig hat die Polizei in den Townships Wichtigeres zu tun.