piwik no script img

Rheinalarm von Basel bis Rotterdam

■ Als Protest gegen die Vergiftung des Rheins fanden gestern zahlreiche Aktionen statt

Gemeinsam aufgerufen von allen Rheinanrainerstaaten bekundeten am Sonntag entlang des ganzen Rheins zwischen Basel und Rotterdam Tausende von Menschen ihre Trauer über den toten Rhein und ihren Protest gegen den umweltgefährdenden Normalbetrieb der Großchemie. Auf allen besetzten Brücken wurde das Urteil des Rheintribunals, das am Samstag stattfand, verlesen. Die Verursacher der Rheinvergiftung wurden darin eines Kapitalverbrechens für schuldig befunden.

Ausnahmsweise war einmal nicht eine Gifteinleitung der Anlaß für den „Rheinalarm“. Im Hinblick auf die am 19. Dezember in Rotterdam tagende „Internationale Rheinschutzkommission“ (IRSK) hatte die Basler „Aktion Selbstschutz“ zu dem internationalen Aktionstag in Folge der Sandozkatastrophe aufgerufen. Lückenhaft blieb eine Menschenkette, die am Sonntagmittag entlang der rund 60 Flußkilometer zwischen Basel und Breisach (bei Freiburg) geknüpft wurde. Zwar hatten sich wohl einige tausend Menschen aus dem Dreiländereck daran beteiligt, ein genauer Überblick war aber bis Redaktionsschluß nicht zu gewinnen. Auf der Palmrainbrücke in Weil am Rhein, direkt hinter Basel, wo die Menschenkette begann, verkündete Wissenschaftler Professor Hoimar von Ditfurth das Urteil des „Internationalen Rheintribunals“ im Namen der Jury. Darin werden - wie niemanden überraschte - die Chemiekonzerne samt der verantwortlichen Politiker für schuldig befunden, „den Rhein durch die Katastrophe bei Sandoz und die nachfolgenden Unfälle vergiftet oder die Vergiftung geduldet zu haben.“ Sie würden „den Rhein, andere Flüsse und die Nordsee weiterhin tagtäglich durch Gifteinleitungen weiter schädigen und die Menschen systematisch über ihr Treiben täuschen.“ Gefordert wurde u.a., die bisherige Praxis der Gifteinleitung als Brunnenvergiftung zu beurteilen und dementsprechend als Kapitalverbrechen zu ahnden, sowie das Verbot von umwelt– und gesundheitsgefährdenden Produktionsverfahren. In Rotterdam nahmen die holländische Ministerin für Verkehr– und Wasserwesen, Frau Smit– Kroes und ihr Umweltminister– Kollege Nypels das Urteil zusammen mit einem Forderungskatalog vom Vorsitzenden der „Vereniging Milieu Defensie“ an Bord des Schiffes „Rival“ der Stiftung Rheinwasser persönlich entgegen. Das „internationale Rheintribunal“ hatte am Samstag in der Winzerhalle von Auggen (südl. von Freiburg) getagt. Dort hatten rund zwei Dutzend „Ankläger“ und sachverständige Wissenschaftler aus der Schweiz, Frankreich, der Bundesrepublik und Holland unter der geduldigen Moderation des grünen Europa– Nachrückers Wolfgang von Nostitz das komplette Sündenregister der Großchemie entlang des Rheins Revue passieren lassen: Da rollte die Basler Chemielehrerin Florianne Koechlin noch einmal die Sandoz–Katastrophe auf; der Elsässer Bernard Sigrist referierte die altbekannte Versalzung des Flusses durch die elsässischen Kali–Minen; da wurden die ständigen Störfälle bei Bayer und Hoechst von Umweltschützern und Betriebsräten als bewußt betriebene Entsorgungspolitik deutlich; Theo Wams von der holländischen „Vereniging Milieu Defensie“ schilderte die Probleme der Stadt Rotterdam mit Millionen Tonnen von hochgiftigem Rheinschlamm, die jährlich aus den Hafenbecken und Fahrrinnen gebaggert werden müssen. Prof. Konrad Buchwald aus Hannover malte schließlich den rund 400 Zuhörern plastisch aus, welche bleibenden Schäden die giftige Fracht im hochsensiblen Ökosystem Wattenmeer anrichtet. So wird PCB in der Nordsee in Konzentrationen gemessen, „die wir im Labor bereits als akute Toxizität bezeichnen.“ Eine „Vorwärtsstrategie, nicht ein Weiterwursteln wie bisher,“ forderte der Professor abschließend. Doch mit der haperte es ein bißchen. Die konkreten Empfehlungen der Experten und Umweltschützer, wie die Wasserstraße, der Vorfluter, diese „Sondermülldeponie namens Rhein“ (MdL Hans– Dieter Stürmer) - immerhin Trinkwasserquelle für rund 20 Millionen Europäer - wieder in einen halbwegs intakten Fluß zurückzuverwandeln sei, reichten von verschärften europa–einheitlichen Sicherheits– und Kontrollvorschriften bis hin zu Strafvollzugsempfehlungen: „Lebenslänglich Gefängnis“ für fehlbare Chemie–Barone schlug der Weisweiler Fischermeister und alte Wyhl–Kämpfer Balthasar Ehret vor. Grundsätzlich jedoch, darin waren sich die Podiumsexperten einig - an diesem Punkt hätte die Debatte eigentlich richtig beginnen müssen, hätte man sie nicht in die medienorientierte Tribunal– Jacke gezwängt - bedarf die gesamte Forschung und Produkion der Großchemie einer kritischen öffentlichen Generalüberprüfung. Bestimmte Stoffe dürften erst gar nicht mehr produziert werden. Hier wurde immer wieder auf die Zusammenhänge zwischen Großchemie und Dritter Welt hingewiesen, die von einem Redner am Beispiel Indonesien dargestellt wurden. Zu so einem richtigen Tribunal gehören natürlich auch Angeklagte. Doch deren Stühle waren erwartungsgemäß leergeblieben; auf Pappschildern stand, wer nicht erschienen war: Hoechst, Bayer, Sandoz, Hoffmann–La Roche, Ciba–Geigy, Windmill, UKF, Walter Wallmann und Gerhard Weiser. Letzterer, seines Zeichens Umweltminister für Baden–Württemberg, hatte dem Tribunal als einziger Geladener wenigstens in einem Briefchen seine Absage begründet: „Die Art und Weise, wie Ihre Initiative mit den Mitteln eines Schauprozesses alle Regeln der Fairness und unvoreingenommenen Gesprächsbereitschaft ganz offenbar hinter ideologischen Zielen zurückstellt, läßt mir eine Teilnahme an dieser Veranstaltung nicht sinnvoll erscheinen.“ Stattdessen erörterte der Minister am Samstag mit schwäbischen Landwirten „die Zukunftssicherung unserer bäuerlichen Familienbetriebe“ - immerhin ein Thema, das ebenfalls einer gewissen chemischen Brisanz nicht entbehrt. Thomas Scheuer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen