: Mildes Urteil im Zwillings–Prozeß
■ Zwei Geldstrafen und ein Freispruch für Ärzte, die ein Zwillings–Baby im Mutterleib vergessen hatten / Staatsanwalt und Eltern des schwerstbehinderten Kindes kündigen Revision an
Aus Dortmund Rita Schnell
Der Prozeß um den „vergessenen Zwilling“ endete gestern in Dortmund mit einem Freispruch und zwei Schuldsprüchen. Der Oberarzt des Marien–Hospitals in Hamm, Dr. Heinrich T., wurde von der 9. Strafkammer vom Vorwurf der Körperverletzung freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte in ihm den Hauptschuldigen an dem tragischen Geschehen gesehen, in dessen Folge der Zwilling Rene Koenen schwerst geschädigt zur Welt kam. 45.ooo DM Geldstrafe war die Forderung der Staatsanwaltschaft. Auch in ihrem Urteil über den niedergelassenen Frauenarzt Dr. B. blieb das Gericht mit einer Geldstrafe von 2o.ooo DM um 16.ooo DM hinter dem Antrag des Anklägers zurück. In seiner Urteilsbegründung sah der Vorsitzende Richter Werner Baumeister die Schuld des Gynäkologen als „erheblich“ an. B. habe es an der erforderlichen Sorgfalt fehlen lassen. Zumal ihm die größere Wahrscheinlichkeit einer Zwillingsschwangerschaft nach einer durch ihn erfolgten Hormonbehandlung hätte bewußt sein müssen. Weniger schwer wiegt in den Augen der Kammer die Schuld des damals unerfahrenen Assistenzarztes Klaus W.. Der hatte die Geburt geleitet und, ohne ein weiteres Kind durch Betasten auszuschließen, ein Medikament zur Förderung der Nachgeburt verabreicht. Durch diese Injektion erlitt der ungeborene Rene einen Sauerstoffmangel, durch den es zu der schweren Behinderung kam. Mit 3ooo DM soll W. für seinen verhängnisvollen Fehler büßen. Bei der Strafzumessung, so betonte Richter Baumeister, sei die „schwere seelische Belastung“ in Rechnung gestellt worden, der die drei Ärzte durch die lange Verfahrensdauer ausgesetzt gewesen seien. Staatsanwalt Kahnert und Christoph Steegers, Anwalt der als Nebenkläger zugelassenen Eltern, kündigten Revision gegen das Urteil an. Für Pejo Boeck, Vorsitzender des „Arbeitskreises Kunstfehler in der Geburtshilfe e.V.“, ist der Freispruch für Chefarzt Dr. T. „nicht zu rechtfertigen“.
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