: Chaos an der Butterfront im Ruhrgebiet
■ Die Verteilung der „Wintersozialbutter“ ist angelaufen / Das Fett kommt nur schleppend aufs Brot / Handhabung total unterschiedlich / Recklinghäuser AWO blieb auf der ersten Ration sitzen / Zahl der Bedürftigen ist enorm
Aus Bochum Rita Schnell
Josef Zander (57), Sozialhilfeempfänger aus Bochum war schon seit Anfang der Woche in Sachen „Wintersozialbutter“ unterwegs. Ohne Erfolg. Niemand in der Revierstadt konnte ihm sagen, wann die silbrig eingepackte „Deutsche Markenbutter aus EG–Beständen, Verkauf verboten“ wo und unter welchen Bedingungen für die „Bedürftigen“ abzuholen sei. Heute endlich kann Josef Zander beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) in Bochum das erste der ihm wöchentlich zustehenden 250–Gramm–Gratispäckchen in Empfang nehmen. Die anderen vier Verbände der Freien Wohlfahrtspflege, Arbeiterwohlfahrt (AWO), Innere Mission, Caritas und Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband, die in Bochum die Verteilung übernommen haben, werden erst nächste Woche mit der Auslieferung beginnen. Flotter waren da die Kollegen und Kolleginnen im benachbarten Recklinghausen. Dort hat das DRK die Oberaufsicht für die Aktion übernommen und bei der zuständigen Bundesanstalt für Landwirtschaftliche Marktordnung 3.000 Pakete geordert. Gemeinsam mit der Arbeiterwohlfahrt ist die Verteilung bereits seit Dienstag früh im Gange. Dabei wurde den Verteilerinnen die Butter keineswegs aus den Händen gerissen. Die AWO–Damen in Recklinghausen Hochlarmark blieben gar auf ihrer milden Gabe sitzen. Gestern, am zweiten Tag der Aktion, lief es schon etwas besser. Im Bürgerhaus in Recklinghausen–Süd sitzen die AWO–Aktivistinnen Annie Breuckmann, Inge Jahn und Elisabeth Cox seit 9.00 Uhr, Butter bei Fuß. 45 Minuten später hat die mit einer blütenweißen Schürze bekleidete Kassenwärtin Cox schon 60 Fettpäckchen über den Tisch geschoben. Breuckmann und Jahn nehmen derweil die Personalien der „Bedürftigen“ auf. Jeder, der Arbeitslosengeld oder -hilfe, Sozialhilfe oder Wohngeld bezieht ist butterberechtigt. Die Namen werden fein säuberlich in Listen eingetragen und vom Empfänger abgezeichnet. „Da geht kein Gramm verloren“, freut sich die Vorsitzende der AWO Recklinghausen–Süd. Sie findet die Methode ihres Ortsvereins ganz besonders „unbürokratisch“. „Jeder, der kommt und sagt, er sei bedürftig, kriegt seine Butter. Wir schicken keinen wieder zurück.“ In der Praxis sieht das dann etwas anders aus. Denn die Damen fragen doch erstmal nach einem Nachweis über die Bedürftigkeit, „irgend eine Bescheinigung“. Klar, wer nichts dabei hat, kriegt trotzdem sein Fett, „aber nächste Woche bringen Sie uns doch einen Nachweis mit“, bittet Inge Jahn. Bei der AWO–Niederrhein in Essen soll den Leuten auch ohne amtlichen Stempel die Bedürftigkeit abgenommen werden. „Es gibt schließlich keinen Grund, daß man wildfremden Leuten seine Einkommensverhältnisse offenlegt“, erklärte der Vorsitzende Erwin Knebel am Bürgertelefon des Westdeutschen Fernsehens. „Jetzt sieht man mal, wie niedrig die Einkommen der Leute sind“ - die Recklinghäuser Butterverteilerin Breuckmann guckt sich die Bescheinigungen wohl genauer an - „und so viele sind dabei, von denen man es wirklich nicht gedacht hätte“, stellt sie erschüttert fest. Die drei Frauen sind sich einig, daß „viele nicht kommen, weil sie sich schämen“. Zu Tränen gerührt waren sie gleich von ihrem ersten Kunden. „Wenn ich Geld hätte“, meinte der überglückliche junge Familienvater, der sonst immer „Blauband“ ißt, „würde ich Ihnen Blumen kaufen. Die konnten dem jungen Mann für die nächste Woche Yoghurt, Milch, Mehl oder eventuell sogar Olivenöl aus EG–Beständen in Aussicht stellen: „Vielleicht, Genaues weiß man nicht.“ Das zur Verfügung gestellte Rindfleisch werden die Damen allerdings nicht verteilen, es soll nur „an nicht–kommerzielle Großküchen der Freien Wohlfahrtspflege abgegeben werden“, wie ein Sprecher des Bonner Landwirtschaftsministeriums beteuerte. Einer Recklinghäuser Bedürftigen war mit der kompletten Angebotspallette der bis zum 31. März befristeten Aktion nicht zu helfen: „Was mir jetzt noch fehlt, ist ein Gutschein für den Frisör“, meinte sie.
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