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I N T E R V I E W „Ein neuer AIDS–Test ist notwendig“

■ Auf einer Pressekonferenz in London beantwortete Professor Luc Montagnier, Leiter des Pariser Pasteur–Instituts, Fragen zur Bedeutung der von ihm jetzt durchgeführten genetischen Entschlüsselung des HIV–II Virus

taz: Welche klinischen Erscheinungsformen bringt der HIV–II–Virus mit sich? Montagnier: Das klinische Bild ist weitgehend das gleiche, das wir vom HIV–I–Virus gewohnt sind. Die Patienten sterben an Infektionen, Diarrhoe und Gehirnentzündung. Beide Viren weisen jedoch wiederum eine Va riation von verschiedenen Krankheitsbildern auf. Ist mit dem zweiten AIDS–Virus auch ein zweiter AIDS–Test notwendig geworden? Ja, zumindest in den Ländern, in denen der Virus bereits aufgetreten ist wie in Westafrika und jetzt auch in Frankreich. Was Blutspender betrifft kann ich sagen, daß nur 80 Prozent der HIV–II–Virus–Träger von dem bisherigen Test erkannt werden. Wir sollten uns also mit dem HIV–II–Test, der bisher nur von einer französischen Firma angeboten wird, nicht allzu viel Zeit lassen. Sehen Sie die Möglichkeit, daß in Zukunft weitere neue AIDS–Viren entdeckt werden? Wie unsere DNA–Sequenzen zeigen, gibt es bei dem HIV–II vermutlich ebenso viele Variationen wie beim HIV–I–Virus. Was die Existenz ganz neuer Typen des Virus angeht, so ist das möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Für die Natur ist es sehr schwierig, den gleichen Virus mit zwei Lösungen zu produzieren. Zwei Lösungen für die gleiche Gleichung lassen sich schwer vorstellen. Warum tötet der Virus erst jetzt und hat dies nicht schon früher getan? Wir vermuten, daß dies unter anderem mit den Veränderungen in Afrika in den letzten 50 Jahren zu tun hat, mit den Veränderungen im Lebensstil der Landbevölkerung. Es kann durchaus sein, daß wir AIDS in Afrika schon seit 100 Jahren haben und nur die Epidemie erst jetzt begonnen hat. Um AIDS zu identifizieren, mußte man ja erst einmal die Mittel zur Diagnose der Immunschwäche besitzen, das heißt, früher hielt man die Krankheit halt für eine Infektion oder für Krebs. Was sagt die Ähnlichkeit des HIV–II–Virus über den Ursprung der Krankheit aus? Es gibt da nichts als Spekulationen. Eine ist, daß der menschliche Virus auf die Affen übergesprungen ist; die andere ist, daß der Virus vom Affen auf den Menschen übetragen wurde. Ich persönlich halte letzteres für wahrscheinlicher, weil ein Affe eher einen Menschen beißt als umgekehrt da wäre ich nicht so ganz sicher, d. s–in. Die Pathogenität (krankheitserregende Wirkung) des Virus könnte zum Beispiel daher rühren, daß er von seinem natürlichen Träger auf einen neuen Träger übergewechselt ist. Wir haben allerdings das natürliche Reservoir des HIV–I–Virus noch nicht gefunden. Auch hier gibt es nur Spekulationen: Entweder haben wir die übertragende Affenart des Virus noch nicht gefunden, oder sie ist ausgestorben. Nur eines möchte ich noch hinzufügen: Dies ist kein vom Menschen hergestellter Virus. Diese von einigen Kollegen in der DDR aufgestellte These ist angesichts der von uns analysierten Sequenz sehr unwahrscheinlich. Es ist noch unwahrscheinlicher, daß beide Viren jetzt von Menschenhand kreiert worden sind. Ja, es ist absurd zu behaupten, dieser Virus sei künstlich hergestellt worden. Erleichtert die Kenntnis eines zweiten AIDS–Virus die Suche nach einem Impfstoff? Ja. Wir haben jetzt zwei genetische Strukturen, die unterschiedlich sind. Das kann uns helfen, die Teile der Gene und der Proteine herauszufinden, die für die Verursachung der Immunschwäche wichtig sind. Bisher sind wir hier allerdings erst am Anfang. Interview: Rolf Paasch

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