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Experiment Alternativbetrieb: Eine Kritik am taz-Innenleben

■ 61,6% aller taz-Abonnenten geben in der Leserumfrage als "zentral und wichtig" an , daß die taz ein Alternativbetrieb ist. Selber arbeiten nur 4,4% in solch einem Experiment...

Nach acht Jahren ist der „größte Alternativbetrieb der BRD“, die taz, in bezug auf ihre inneren Strukturen nicht, wie doch eigentlich mal gedacht, zum attraktiven Modell menschlicher Arbeitsbedingungen geworden, mit einer Betriebsorganisation, die die Fähigkeiten jedes Mitarbeiters zu fördern vermag. Eher im Gegenteil. (Ich weiß, daß auch viele Frauen in der taz arbeiten, belasse es aber immer bei der männlichen Form, meine Verbeugung vor der Lesbarkeit) Zunächst soll dennoch nicht übersehen werden, daß die Arbeitssituation in der taz auch ihre angenehmen Seiten besitzt. Das fällt Besuchern häufig deutlicher auf als den - gleichzeitig vom Streß geplagten - tazlern selbst: die Möglichkeit, persönliche Stimmungen und Emotionen während der Arbeit zeigen zu können, seine Persönlichkeit nicht dauernd hinter Masken (bis hin zu Kleider–Vorschriften) verbannen zu müssen; die gegenseitige Bereitschaft, auf persönliche Probleme bzw. Bedürfnisse bei der Arbeitsgestaltung Rücksicht zu nehmen - sowohl dauerhaft, etwa bei der Arbeitszeitregelung für Mütter und Väter, als auch temporär, wenn z.B. jemand kurzfristig acht Tage zu Hause bleiben kann, um mit sich klar zu kommen. In der taz gibt es auch die Möglichkeit, sein (politisches) Engagement in die Arbeit einfließen zu lassen; die Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Abteilungen, wer will, kann in der taz auch in andere Abteilungen hineinriechen bzw. wechseln; es gibt wohl keine andere Zeitung, in der soviele nicht– redaktionelle Mitarbeiter ab und zu Beiträge schreiben. Die „Säzzer“–Bemerkungen wären zu erwähnen, die Unterstützung von Frauen bei der Einstellung (Erstausschreibung in der Regel nur für Frauen, bis deren Anteil in der Abteilung dem der Männer entspricht); die Liste ließe sich erweitern: Es macht auch Spaß, in der taz zu arbeiten. Dennoch wird dies massiv überschattet von - einer Selbstausbeutung in physischer und finanzieller Hinsicht; - dem Fehlen adäquater innerer Strukturen und Mechanismen für die Entwicklung des Gesamtprojekts, der Zeitung und ihres Verlags (und damit auch dessen finanzieller Lage); Es gibt also drei Motive für eine Kritik des taz–Innenlebens: - von der taz geht keine Attraktion für das Experiment alternativer Arbeits– und Betriebsstrukturen aus; - taz bedeutet für viele Mitarbeiter unangenehme Arbeitsbedingungen (Selbstausbeutung); - die derzeitigen Mechanismen des taz–Innenlebens erweisen sich als Grenze für eine weitere Verbesserung der Zeitung und damit Auflagensteigerung der taz; Meine These: eine neue Gestaltung der internen Kommunikation könnte ein Ansatz sein, der Lösungen diese drei Probleme in sich trägt. Alternativbetriebe sind dabei stehengeblieben, keine Hierarchien etablieren zu wollen. Dabei stehen sie machtlos vor realen Zwängen, müssen mehr oder weniger heimlich zumindest informelle Hierarchien einführen bzw. dulden. Denn sie haben keine wirkliche Alternative entwickelt, keine Alternative für die positiven Funktionen, die Hierarchien auch gewährleisten, positiv für die Flexibilität des Betriebes und auch positiv für die Mitarbeiter. Der Alternativbetrieb hat statt dessen nur das plumpe Mittel plenarer Kommunikations– und Entscheidungsprozesse anzubieten. Man mag dies „Basisdemokratie“ nennen, überzeugend ist daran lediglich der gute Wille. Nur formal gibt dieses Mittel allen Mitarbeitern die gleichen Chancen der Teilhabe an der Selbstverwaltung. In Wirklichkeit sind plenare Strukturen, also Plenums–Versammlungen , geradezu eine Blockade für die Entfaltung der Kreativität der Einzelnen, von kreativen Diskussionen, von neuen, weitertreibenden Ideen. Solche Veranstaltungen führen in der Regel nicht zu Entscheidungen, die von allen mitgetragen werden können, sie sind viel eher ein Tummelplatz der Ellbogen, ein Mechanismus zur Herausbildung von informellen Hierarchien und zur Zementierung von Erfahrungs– und Kenntnisunterschieden. Dies gilt auf jeden Fall in einem Betrieb von der Größe der taz (160 feste Angestellte), aber auch in kleineren Betrieben, in „Kollektiven“, hängt die Qualität der Diskussionen und Entscheidungen von der konkreten Gestaltung der Kommunikation ab - sinnvolle Kommunikation gelingt lediglich etwas leichter „naturwüchsig“, je kleiner die Gruppe ist. Das Mittelmaß des gemeinsamen Nenners Plenare Versammlungen tendieren dazu, Initiativen und Kreativität auf das Mittelmaß eines gemeinsamen Nenners bestehender Ansichten - also oft von Vorurteilen - zu reduzieren, auf mittelmäßige Kompromisse. Dies ist keine wirkliche Alternative, weder für die persönliche Entfaltung der Mitarbeiter noch für die Entwicklung des Betriebes. So verlieren Alternativbetriebe jegliche Attraktion, jeglichen Modell– Charakter für eine bessere emanzipiertere Gesellschaft. Sie werden zum Refugium derer, die sich gutwillig engagieren und bereit sind, lieber zu leiden als sich anzupassen. Zum Sammelbecken für Dünnbrettbohrer und Schlaffis werden sie nur deswegen nicht, weil die Arbeitsbedingungen dafür zu hart sind Auch in den „Nischen“ thoha?, d.S.. Die über ein Jahrzehnt alte Kontroverse innerhalb der Linken über Hierarchie (Chefs) und Kollektiv (Selbstverwaltung) greift leider zu kurz: Sie thematisiert nur die formalen Strukturen, nicht jedoch, mit welchem Leben sie aus gefüllt werden, nicht Blockaden versus Entblockierungen, die von der konkreten Ausgestaltung der Kommunikation abhängig sind. Wirklich „alternative“ Arbeits– und Betriebsstrukturen bedürfen hingegen der Reflektion und des bewußten Lernens bestimmter Kommunikations–Gestaltung, weil - dummerweise - das „naturwüchsige“ Kommunikationsverhalten (selbstverständlich auch das der Linken) leider eher Blockaden produziert oder verfestigt, und zwar gleichermaßen im traditionell hierarchisch organisierten Betrieb wie im „Kollektiv“. Ich sehe mittlerweile einen neuen Ansatz, der allerdings erst theoretisch an Kontur gewinnt. Mir sind jedenfalls hierzu keine Erfahrungen aus Alternativbetrieben bekannt - mit einer Ausnahme: die selbst mit alternativen Strukturen experimentierende Betriebsberatungs–Firma ibek in Karlsruhe, die diesen Ansatz auch im Rahmen einer Betriebsberatungs–Tätigkeit für die taz ins Spiel gebracht hat. Der Ansatz geht davon aus, daß ein Alternativbetrieb erst dann wirksam emanzipatorisch werden kann, wenn die Kommunikation, das gegenseitige Verhalten, in der oben genannten Richtung bewußt gestaltet wird. Und daß auch die formalen Kompetenz–, Delegations– und Gremienstrukturen (die nach Maßgabe funktionaler Arbeitsteilung zu definieren sind) in diesem Kontext eine neue, für Alternativbetriebe spezifische Bedeutung erhalten können. Erst dann sehe ich zumindest eine Chance, daß notwendige Kompetenzzuweisungen an Gremien oder Einzelne nicht automatisch die Bedeutung fremdbestimmender Hierarchie er– bzw. behalten. Es müßte möglich sein, die positiven Mechanismen, die in anderen Betrieben durch Hierarchien gewährleistet werden, durch bewußte Gestaltung der Kommunikation auch in einer alternativen Betriebs– und Arbeitsstruktur sich entwickeln zu lassen, Gremien entstehen zu lassen, die nicht „von oben“ wirken. Woher die Hoffnung? Daher, daß die Erfahrungen kleiner Gruppen auf einen komplexen Betrieb von der Größe der taz übertragbar sind. Schließlich setzt er sich aus vielen kleinen Gruppen zusammen, die ein komplexes Geflecht von parallel und übereinander gelagerten Einheiten ergeben. Sicher muß diese These erst noch an praktischer Erfahrung gemessen werden, muß ein solches Konzept von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich ausgestaltet werden. Von einem bin ich allerdings fest überzeugt: wenn es nicht über einen solchen oder ähnlichen Ansatz endlich gelingt, eine wirklich produktive Alternative zur herkömmlichen Hierarchie zu entwickeln, wird das Modell „Alter nativ–Betrieb“ bald jeglichen Glanz verlieren und gegenüber dem Leben der Verlierer sein. Was ich mit „bewußter Gestaltung der Kommunikation“ im Auge habe, soll im Folgenden aus einer Kritik am taz–Innenleben entwickelt werden. Schattenseite „Selbstausbeutung“ Die Anerkennung, die man der taz großenteils in der Öffentlichkeit entgegenbringt, schlägt in Mitleid um, wenn es um die Arbeitsbedingungen geht: „Unter diesen Bedingungen - um so erstaunlicher!“ Wenn man sich die Leute betrachtet, die in der taz arbeiten, fragt man sich eher umgekehrt, warum nicht noch mehr dabei herauskommt - falls man davon ausgeht, daß eher handwerkliche Qualifikationen prinzipiell gelernt werden können, auch im Rahmen von Fortbildung. Aber eines ist unbestreitbar: Auch intern werden die Arbeitsbedingungen oft beklagt. Mit dem geringen Lohn fängts an, einem für die tazler zentralen Problem. Aber es ist nicht der einzige wunde Punkt: entnervender Energieverschleiß, häufiger Streß, das Gefühl ermüdender Leerläufe trotz aller Hektik und trotz permanenten Handlungsdrucks, mangelnder Austausch über die Inhalte der jeweiligen Arbeit mit den Mitarbeitern. Der Mangel ist unterschiedlich verteilt. Aber viele haben deswegen schon die taz verlassen, fast alle haben schon einmal daran gedacht - die Arbeitsbedingungen der taz sind wahrlich keine Attraktion. Ein Problem liegt darin, daß des Einen Plaisier des Anderen Ungemach ist bzw. wird - meist sogar mehrerer Anderer. Denn zu dieser Schattenseite gehören auch - durchaus ungewollte - „Nebenwirkungen“ der allgemeinen Unverbindlichkeit: zu wenig klare Vereinbarungen über die Zusammenarbeit, ungenügende Entscheidungsmechanismen, Schwammigkeit in den gegenseitigen Arbeitsanforderungen bzw. -erwartungen. Dies muß faktisch von Einzelnen ausgebadet werden, sei es, daß ihr Engagement ausgenutzt wird, sei es, daß ihnen unnötiger Streß bereitet wird und ähnliches. Solche „Nebenwirkungen“ entstehen aus Verhaltensweisen, die durchaus für die Akteure (kurzfristig) persönliche Bedürfnisse befriedigen, die aber für den gesamten Arbeitszusammenhang eine Quelle für unangenehme, anstrengende Situationen darstellen. Beispiele: das Hinhalten oder die fehlende Betreuung von Autoren, die Ignoranz gegenüber dem Bedürfnis längerfristiger persönlicher Planung, die Behandlung von Stellen–Bewerbern, die mangelnde Einarbeitung und Einweisung von neuen Mitarbeitern, die vielen Nachlässigkeiten, die anderen tazlern Überstunden oder Streß bereiten, aber auch das hartnäckig aufrechterhaltene Mißtrauen gegenüber bestimmten Mitarbeitern, die mangelnde Bereitschaft zu offener „Kritik unter Anwesenden“, die sich stattdessen in Flurgesprächen und Gerüchten austobt, die dann zu Vorurteilen werden. Dies alles ist ein Teil der taz– Arbeitsbedingungen, ein Teil der Selbstausbeutung - einschließlich der psychischen Komponente. Schattenseite „inadäquate Strukturen Ein Projekt wie die taz ist aus drei Gründen zur Dynamik, zu ständigen Veränderungen gezwungen: - als Zeitung, die auf gesellschaftliche Entwicklungen reagieren (wenn möglich, sogar antizipierend agieren) muß - als Alternativ–Projekt, das sich seines experimentellen Charakters bewußt ist - als Unternehmen, das wachsen will bzw. muß, um seine finanzielle Situation spürbar verbessern zu können. Das taz–Innenleben, die ungenügenden Strukturen und Mechanismen erschweren aber die für die unterschiedlichen Veränderungen notwendigen Entscheidungen. Das Bestehende ist König in der taz. Es herrscht ein paradoxer, bedrückender Konservativismus im Alternativbetrieb, in taz–internen Papieren schon als „Beamtenmentalität“ kritisiert. Neuerungen, Veränderungen sind problemlos nur insoweit zu realisieren, wie die Einflußmöglichkeit von Einzelnen reicht. Beispiele dafür sind über Jahre hinweg die Rubriken von Arno Widmann, jüngst Helmut Höges Kultur– Kurzmeldungs–Rubrik, vor einiger Zeit die Einführung des „Szenekalenders“ durch die Verantwortlichen der Hintergrundseiten. Viele Veränderungsvorschläge, die mehrere Abteilungen betreffen, werden jedoch schlicht durch Entscheidungslosigkeit blockiert. Längst haben sich auch langjährige Mitarbeiter so oft den Kopf an dieser „Betonwatte“ der internen Mechanismen eingerannt, daß sie viele kreative Ideen gar nicht mehr ernsthaft einbringen, wo sollten sie auch? Viele gute Ideen werden im Flur mal ausgesprochen und dann wieder vergessen. Die Beamtenmentalität wird produziert, vom Alternativbetrieb taz, wenn auch ungewollt. Die plenaren Entscheidungsstrukturen sind aus mehreren Gründen völlig ungeeignet. Sie sind eine reine Mitarbeiter– Lobby. Urlaub für alle wird sofort beschlossen. Aber bei Fragen, die für die Projekt–Entwicklung wichtig sind, kommt es teilweise zu absurden Konstellationen: etwa wenn eine strategische Entscheidung, die taz in Berlin auszubauen, von denen blockiert wird, die einerseits den Mitarbeitern der Berlin–Redaktion mißtrauen, andererseits aber keine Möglichkeit sehen, ihrer Kritik Geltung, zumindest Gehör zu verschaffen. Dann soll lieber gar nichts geschehen. Veto! Dafür ist das Plenum allemal ausreichend. Erst in - meist finanziellen - Krisensituationen wird der Druck groß genug, daß reale Zwänge in die Überlegungen einbezogen werden, erst unter solchem Druck werden substantielle Veränderungen durchsetzungsfähig. Mangels Alternative. Erst in der Krise wird ein Plenum zur Unternehmer–Versammlung. Das bedeutet, daß die taz auf Krisen angewiesen ist, um notwendige (siehe obige drei Gründe) Veränderungen einleiten zu können und daß sie nur unter ungünstigen Bedingungen, aus der Defensive, statt selbstbewußt aus der Offensive agieren kann. Ein wahnsinniger Verschleiß von Energien! Acht Jahre haben bei diesem Innenleben auch den Projekt–Konsens (soweit es ihn jemals gab) zersetzt. Er ist zu diffus für eine gute Zeitung mit klarem Profil geworden, weil es keine Mechanismen der - immer wieder neuen - Verständigung über das Konzept und seine allmähliche und bewußte Veränderung gab. Dies bei erheblicher personeller Fluktuation. Im Grunde hält der Produktionsdruck bzw. die Bereitschaft, jeden Tag bis zu einer bestimmten Uhrzeit eine Zeitung fertigzustellen, den Laden zusammen. Wen wundert es da, daß es der Zeitung an „Biß“ fehlt - zumindest von anspruchsvollen und prinzipiell auch realisierbaren Wünschen aus gesehen. Einzelne kritische Punkte Eine öffentliche Diskussion über das Modell „Alternativ–Betrieb“ existiert praktisch nicht mehr. Jeder weiß zwar, daß es Alternativbetriebe noch gibt, aber im Gegensatz zur Mitte der siebziger Jahre werden sie nicht mehr als gesellschaftliche Alternative, als Teil einer gesellschaftlichen Utopie verstanden.

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