: Boliviens neuer Weg aus dem Schuldendschungel
■ Dschungelschutz gegen Schuldenerlaß: Ein ungewöhnlicher Deal zwischen US–Umweltschützern und der bolivianischen Regierung reduziert die geschätzten vier Milliarden Auslandsschulden des Landes um 650.000 Dollar / Ein Präzedenzfall für die Dritte Welt?
Aus Washington Stefan Schaaf
Eine US–Naturschutzorganisation hat eine ungewöhnliche Übereinkunft mit der Regierung Boliviens getroffen: Die Umweltschützer halfen, den Schuldenberg des Andenlandes zu verringern, die Regierung in La Paz verpflichtete sich im Gegenzug, ein großes Stück bolivianischer Natur weitgehend unberührt zu lassen. Die Naturschutzorganisation Conservation International mit Sitz in der US–Bundeshauptstadt Washington kaufte der US–amerikanischen CITICORP–Bank bolivianische Schuldentitel im Wert von 650.000 US–Dollar ab. Da Bolivien ein Land mit einer immensen Schuldenlast ist, haben viele Banken die Hoffnung auf volle Rückerstattung aufgegeben und sind willens, ihre Ansprüche auch für eine wesentlich geringere Summe aufzugeben. Conservation International mußte nur 100.000 Dollar aufbringen, um die betreffenden Schuldentitel zu erhalten. Die Umweltschutzorganisation erhielt diese Summe als Spende von der Frank–Weeden–Stiftung, hinter der ein ökophiler US–Millionär steht. Die bolivianische Regierung stimmte als Gegenleistung strikten Nutzungsregeln für ein 250 Kilometer nordöstlich von La Paz gelegenes Areal von 15.000 Quadratkilometern zu, das ein schon länger bestehendes Naturschutzgebiet in den Bergen Boliviens umgibt. Dieses Gebiet, die Beni Biosphere Reserve, bietet neben dem Stamm der Chimane– Indianer auch einer ungewöhnlich reichen Flora und Fauna Lebensraum; 500 verschiedene Vogelar ten und 13 der 10 in Bolivien vom Aussterben bedrohten Tiergattungen bevölkern das Areal. Zusätzlich zu diesem Gebiet wird nun eine zehnmal so große Region durch das Abkommen mit der US–Umweltschutzorganisation unter Naturschutz gestellt. Conservation International hat dieses Land nicht gekauft, es gehört weiterhin der bolivianischen Regierung, doch konnte die Organisation strikte Begrenzungen für die Nutzung dieses Gebiets durch Landwirtschaft und Viehzüchter aushandeln. Besonders die Rinderfarmen haben durch Überweidung und großflächige Rodung große Umweltschäden angerichtet. Conservation International wurde erst Anfang dieses Jahres gegründet. Gefördert werden soll der Aufbau von Naturschutzorga nisationen und Forschungskapazitäten in diesen Ländern, wobei Conservation International möglichst eng mit lokalen Institutionen und einheimischen Fachleuten zusammenarbeitet. Nach Ansicht des Direktors der Organisation, Peter Seligmann, besteht eine enge Verknüpfung zwischen der Schuldenkrise und der Notwendigkeit verstärkten Umweltschutzes in den von der Verschuldung betroffenen Ländern, denn viele dieser Staaten sind gezwungen, ihre letzten natürlichen Ressourcen - Mineralien, Urwälder und Fischbestände - dem Export zu opfern, um ihre Zahlungen leisten zu können. Raubbau an bislang unberührten tropischen Biotopen ist die Folge. Die Übereinkunft seiner Organisation mit der Regierung Boliviens zeige nun erstmals, daß sich Umweltschutz mit einer Verringerung der Schuldenlast vereinbaren lasse. Seligmann hofft, daß ein Präzedenzfall geschaffen worden ist, dem noch viele ähnliche Abkommen folgen werden. Conservation International verhandelt gegenwärtig mit vier nichtgenannten lateinamerikanischen Staaten. Es ist bekannt, daß Brasilien, Peru, Ecuador und Costa Rica geeignete Flächen für derartige Projekte aufweisen. Der Botschafter Boliviens in Washington, in dessen Beisein Mitte Juli das Abkommen unterzeichnet wurde, lobte das Konzept der US– Naturschützer und scherzte gegenüber der Presse, daß man für die Übernahme der gesamten, auf vier Milliarden US–Dollar geschätzten Auslandsschulden seines Landes wohl die halbe Fläche Boliviens hergeben würde.
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