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Im wilden Westen wird der Atomkrieg geprobt

■ Seit Jahren kämpft die amerikanische Friedensbewegung gegen die Atombombentests in der Wüste von Nevada einen bisher erfolglosen Kampf / Ohne weitere A–Bombentests würde Reagans Star–Wars–Programm kippen / Radioaktivität hält sich nicht an Testareal–Grenzen

Von Silvia Sanides–Kilian

Washington (taz) - Einer Mondlandschaft gleicht die südwestliche Spitze des US–Bundesstaates Nevada. Die Wüste aus Geröll und Sand wird nur von riesenhaften, steil aufragenden Gesteinsinseln, den Mesas, und tiefen Kratern unterbrochen. In den sechziger Jahren trainierte die NASA in diesem unwirtlichen Gelände ihre Astronauten für die Mondlandung, und schon vorher begann die US–Regierung den Atomkrieg im westlichen Wüstenstaat Nevada zu erproben. In den vierziger Jahren nämlich bestimmte Washington ein 2.000 Quadratkilometer großes Areal zum Atombombentestgelände zum „Nevada Test Site“ (NTS). 1951 wurde dort der erste von mittlerweile über 700 amerikanischen Atombombentests durchgeführt. Trotz der Größe des Testgebiets sind die Testexplosionen oft weit über die Grenzen des Areals spürbar - Wolkenkratzer im hundert Kilometer entfernten Las Vegas schwanken, im Erdbebeninformationszentrum im Nachbarstaat Colorado werden Erschütterungen von mittlerer Erdbebenstärke gemessen. Fast ebensolange wie Atombombentests in Nevada durchgeführt worden sind, haben Mitglieder der Friedensbewegung gegen die Tests protestiert. 1957 wurden erstmals elf Demonstranten verhaftet, weil sie illegal in das Testgelände eingedrungen waren. Seit August 1985, als die Sowjetunion einseitig ein Moratorium verkündete, ihre Atomtests stoppte und die USA aufforderte nachzuziehen, steht auch bei der US–Friedensbewegung die Forderung nach einem amerikanischen Moratorium an oberster Stelle. Ihr gelang es inzwischen mehrfach, die verantwortliche US–Energiebehörde zum Aufschub von Tests zu zwingen, weil Demonstranten bis zu „Ground Zero“ vorgedrungen waren. Mitglieder der Organisation Greenpeace sorgten dafür, daß der Test, der das Ende des einseitigen sowjetischen Teststopps herbeiführen sollte, um drei Tage verzögert wurde. „Might Oak“ - gewaltige Eiche -, so der Codename des Tests, konnte erst durchgeführt werden, nachdem das von der Friedensbewegung alarmierte Sicherheitspersonal die Demonstranten im Testgelände aufgespürt und festgenommen hatte. Die Sowjetunion verlängerte ihr Moratorium damals um weitere acht Monate und nahm ihr Testprogramm erst im Februar dieses Jahres wieder auf. „Hazebrook“, die letzte der 25 während des sowjetischen Moratoriums durch geführten unterirdischen Atombombenexplosionen, wurde von der größten Protestaktion seit den Anfängen der Bombentests begleitet. 2.000 Demonstranten fanden sich am Rande des Testgeländes ein, mehr als 400, darunter bekannte Persönlichkeiten wie der Astronom Carl Sagan und der Schauspieler Martin Sheen, wurden festgenommen. Im Städtchen Beatty unweit des Testgeländes bereitete die Aktion logistische Schwierigkeiten, denn der größe ren öffentlichen Wirksamkeit wegen zogen die Demonstranten Haftstrafen den Geldstrafen vor, doch kann Beatty nur mit 18 Gefängniszellen aufwarten. Die Einstellung der Atombombentests, so argumentieren Mitglieder der Friedensbewegung, ist ein erster Schritt zu einer atomwaffenfreien Erde. Nur die Durchführung von Tests ermöglicht die Entwicklung neuer Waffen und gewährt die Verläßlichkeit bereits bestehender Arsenale. Atomtests für SDI Atomwaffentests werden in zwei Kategorien eingeteilt: Tests zur Untersuchung von Auswirkungen von Waffen und waffenbezogene Tests. Erstere werden in horizontalen, in die Mesas gebohrte Tunnel durchgeführt. Am inneren Ende des meist etwa 500 Meter langen Tunnels liegt der „Zero Room“, in dem die Explosion stattfindet. In regelmäßigen Abständen befinden sich Kammern im Tunnel, in denen die Auswirkungen der Explosion und Strahlung auf verschiedene militärische Ausrüstungsgegenstände wie Sprengköpfe und Kommunikationseinrichtungen getestet werden. Die Gegenstände werden nach der Explosion geborgen und im Labor untersucht. Die Testtunnel können fast druckfrei gepumpt werden, um Bedingungen wie im Weltraum zu simulieren, eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung von SDI–Waffen. In „waffenbezogenen“ Tests werden neue Waffen in verschiedenen Entwicklungsstadien sowie fertiggestellte Waffen vor ihrer Lagerung getestet und gelegentlich ältere Waffen den Arsenalen entnommen und überprüft. Die Tests finden in vertikalen Schächten bis zu zwei Kilometer Tiefe und vier Meter Durchmesser statt. Der Sprengkopf wird zusammen mit einer Diagnosekammer in den Schacht gesenkt. Ein Bündel von elektrischen Kabeln verbindet das Auslöse– und Diagnosesystem mit Registrierstationen an der Oberfläche. Der Schacht wird mit Sand, Kies und künstlichen Pfropfen verschlossen, um das Freiwerden von Strahlung zu verhindern. Innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde nach der Explosion - bevor die Sensoren und Kabel zerstört werden - sendet das Diagnosesystem Informationen über die Sprengkraft via Kabel an die Registrierstationen. Durch die Explosion bildet sich eine unterirdische Höhle, die sich mit geschmolzenem Gestein und heißen Gasen unter enormem Druck füllt. Mit dem Abkühlen der Gase sinkt der Druck, Material über der Höhle sinkt nach unten und hinterläßt an eine Mondlandschaft erinnernden Krater. Das Testgelände ist von mehreren hundert Kratern von 60 bis 600 Meter Durchmesser und bis zu 60 Meter Tiefe übersät. Der Druck der radioaktiven Gase ist zuweilen so hoch, daß es zu Brüchen in der Erdoberfläche kommt und Radioaktivität nach außen durchdringt. Nach jedem Test, so Charlie Hilfenhaus von der Friedensorganisation „American Peace Test“, werden radioaktive Gase wie Xenon–133, die durch die chemischen Filter rutschen, planmäßig in die Atmosphäre abgelassen. Bei jedem zehnten Test jedoch wird Radioaktivität unkontrolliert frei. Der 1970 durchgeführte Test „Baneberry“ kontaminierte die Atmosphäre mit mehr Radioaktivität als die Hiroshima–Bombe. 136mal seit Beginn der unterirdischen Tests in Nevada hat die US– Umweltbehörde Radioaktivität außerhalb des Testgeländes gemessen. Besonders betroffen sind die Bewohner der Städte Cedar City und St. George im benachbarten Bundesstaat Utah. Die Bewohner von St. George befinden sich schon seit Jahrzehnten im Clinch mit der US–Energiebehörde wegen der hohen radioaktiven Belastung ihrer Heimatstadt. Als in den fünfziger Jahren die Tests auf der NTS noch oberirdisch durchgeführt wurden, kam es später in St. George und Cedar City zu hohen Krebsraten und Mißbildungen bei Neugeborenen. Doch die Forderungen der Bewohner von St. George nach Entschädigung durch die Bundesregierung trafen ebenso auf taube Ohren wie jene von US–Veteranen, die Minuten nach Durchführung oberirdischer Tests nach „Ground Zero“ beordert wurden. Die so als Versuchskarnickel ausgebeuteten Soldaten sollten Aufschluß über das Verhalten von Truppen nach einem Atombombenabwurf geben. Ein Testmoratorium, so Mitglieder von American Peace Test, würde die Weiterentwicklung von Waffen der „dritten Generation“ verhindern, die Verläßlichkeit gelagerter Waffen vermindern und die Möglichkeit, einen Erstschlag erfolgreich durchzuführen, einschränken. Waffen der „dritten Generation“ sind die Neutronenbombe, im Weltraum stationierte „Star Wars“–Waffen und die durch atomare Explosionen betriebenen Laserkanonen. Besonders wichtig für die Entwicklung modernster Waffen ist die Untersuchung der Auswirkungen des durch atomare Explosionen ausgelösten elektro–magnetischen Impulses. Der Impuls kann das gesamte elektronische Kommunikationssystem lahmlegen, auf das eine moderne Kriegsführung angewiesen ist. Ein Teststopp würde solche Forschungen beenden.

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