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„Tabula rasa“ als Ziel der Behörden

■ Eine jetzt als Buch erschienene Chronik belegt, daß Baubehörde und Innensenator immer nur den Abriß wollten

Seit vergangener Woche ist das Lehrstück Hafenstraße in dem Buch „Hafenstraße - Chronik und Analysen eines Konflikts“ nachzulesen. Im Mai 1982 mußten Baubehörde und die städtische Grundstücksverwaltung zur Kenntnis nehmen, daß zur Sanierung vorgesehene Häuser in der Bernhard–Nocht– und St.–Pauli–Hafenstraße seit Monaten besetzt gehalten wurden. Dem damaligen Polizeisenator Alfons Pawelczyk war es offenbar nicht gelungen, seine kurz zuvor verkündete 24–Stunden–Regel (“kein Haus bleibt länger besetzt“) durchzusetzen. Die Polizei hatte geräumt, doch die BesetzerInnen kamen wieder und schrieben nun gar vertrauensvoll an den damaligen Bausenator Volker Lange: „Es wurde viel gearbeitet: Wasserrohrbrüche repariert, Müllberge aus den Häusern geschafft und vieles mehr. Stellen Sie sicher, daß bis auf weiteres keine Wohnungen mehr geräumt werden, und nehmen Sie mit uns Verhandlungen über eine Nutzung und Selbstverwirklichung der Häuser auf.“ Die Baubehörde antwortete mit der Vergabe eines Gutachterauftrags an das Planungsbüro „Gibbins und Partner“, das sich in Berlin wiederholt für Altbauten stark gemacht hatte. Auch für die Hafenstraße rechneten die Experten vor, daß Neubauten weit teurer zu stehen kämen als die Instandsetzung der besetzten, in ihrer Bausubstanz durchaus erhaltenswerten Häuser. Nach der Polizei war damit auch der Bausenator gescheitert. Mit diesem Datum begann seine Behörde intern zu rechnen und mit Paragraphen zu jonglieren, als erstes verschwand das Nachgutachten vom Tisch, das städtische Wohnungsbau–Unternehmen SAGA legte seine eigenen Kostenrechnungen vor. Sie fielen so exakt aus, daß nach den geltenden Maßstäben für Sanierungszuschüsse just die besetzten Häuser nicht mehr darunter fielen. Anfang 1985 war man mit den Abrißbemühungen trotzdem nicht weitergekommen. Die Baubehörde hatte ihre Pläne zum 800. Geburtstag des Hafens 1988 vorgestellt, spätestens bis dahin sollten die Häuser abgerissen sein. Für Baupläne aber ist der Bezirk zuständig. Am 29. Januar fand dort eine Besprechung statt. Der Bezirksamtsleiter Hubert Jungesblut erklärte: „Die Polizei weigert sich, kleine Lösungen zu unterstützen. Angestrebt wird die große Lösung, das heißt eine notfalls mit Zwang durchgesetzte Besichtigung mit dem Ziel, aufgrund der dabei gewonnenen Erkenntnisse das Haus Nummer 116 kurzfristig abzureißen. Mit Senator Wagner (seit 1983 Präses der Baubehörde, d.Red.) ist telefonisch Kontakt aufgenommen worden. In 14 Tagen bis drei Wochen sei eine Entscheidung des Senats resp. des Senators zu erwarten.“ Die Rechtsabteilung solle umgehend prüfen, ob man mit Hilfe des „Gesetzes für Sicherheit und öffentliche Ordnung“ (SOG) zum Ziel komme, oder ob formelle Unbewohnbarkeitserklärungen juristisch erfolgreicher seien. Der damit angesprochene Abteilungsleiter notierte kurz und bündig als Meinung des Chefs: „Ziel: tabula rasa“. Zwei Tage später kritzelte er aufs Konzeptpapier: „Wir wollen: Abbruch. Dazu kommen wir nur über Räumung. Verfügung kann begründet werden mit - Gefahr für Leib & Leben (SOG, d.Red.) oder: Unbewohnbarkeit.“ Dieser zweite Weg schien ihm sinnvoller: „Gefahren für Leib und Leben begründen die Zustände im Hause nicht, präziser: keine Gefahren dieser Art, die Abriß rechtfertigen.“ Der Rat wurde befolgt. Die Behörde versuchte alles, um die Häuser für unbewohnbar zu erklären, obwohl sie von den BesetzerInnen fortschreitend renoviert wurden. Eine amtliche Besichtigung der Wohnungen konnte 1986 keine ernsthaften Mängel mehr nachweisen. Auf den tatsächlichen Zustand der Häuser kam es der Behörde jedoch nicht an. Wichtig bleibt, die sich seit diesem Jahr häufenden Polizeieinsätze formal zu rechtfertigen. Sie werden „Begehungen“ genannt, um die angebliche „Unbewohnbarkeit“ festzustellen. Ein anderer Beamte notierte am 5. Februar 1985: „Unbewohnbarkeit ohne Besichtigung gesetzlich nicht möglich.“ Mit dieser Rechtskonstruktion im Hintergrund begann die bis heute andauernde Kette der polizeilichen Verwüstungen. Immer wieder wurde Mobiliar aus den Fenstern geworfen, Türen wurden eingeschlagen, Höhepunkt dürfte die Zerstörungsorgie vom November 1986 gewesen sein. Nichts blieb heil, was den Leuten in die Finger kam. Aber auch die Sadismen dieses Tages wie das Urinieren in Weingläser gehörten zum Konzept. Der Bezirksamtsleiter hatte schon im Januar 1985 beim Bausenator angefragt, ob er von gesetzlichen Pflichten „freigezeichnet“ werden könne. Niklaus Hablützel Michael Herrmann, Hans–Joachim Lenger, Jan Philipp Reemtsma, Karl–Heinz Roth: Hafenstraße - Chronik und Analysen eines Konflikts“. Verlag am Galgenberg/Hamburger Rundschau. Hamburg, 258 Seiten, 16 Mark

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