: Gerangel um ein Rüstungsunternehmen
Tornado contra Umweltschutz / CDU-Behörden uneins / Arbeitsplätze als Köder / Regierungspräsidium legt sich quer / „High-Tech-Land“ gegen „Internationales Leitbild der Bodenseelandschaft“ oder: Wer kriegt den Zuschlag? ■ Von Holger Reile
Konstanz (taz) – Während der Sommermonate tummeln sich in Überlingen am Bodensee Zehntausende von Touristen. Wer von Stuttgart kommend auf dem „Spätzle-Highway“ gen Süden brettert, macht schon mal einen kleinen Umweg. Die verbliebenen Einheimischen in Überlingen murren zwar, aber so, daß es keiner hört – denn schließlich verschafft der Tourismus den meisten von ihnen ein erkleckliches Zubrot. Von November bis März ist es normalerweise ruhig in der ehemaligen Reichsstadt am Nordufer des westlichen Bodensees. Doch zur Zeit geht es hoch her in Überlingen. Man fürchtet um den Verlust vieler Arbeitsplätze. Die ansässigen „Bodenseewerke“ drohen mit einer Verlagerung ihrer Produktionsstätten in den Raum München, wenn sich die geplante Betriebserweiterung am Ort nicht durchsetzen läßt.
Die örtliche Presse, und hier vor allem der Südkurier, jammert: Dem „High-Tech-Land“ Baden-Württemberg drohe „der Verlust einer seiner namhaftesten Betriebe“.
Mit „High-Tech“ wird hier schamhaft ein Betrieb geschmückt, der sich in der bundesdeutschen Rüstungsindustrie im Lauf der Jahre einen Namen gemacht hat. Mit rund 2.000 Mitarbeitern sind die Bodenseewerke, die zum US-Konzern „Perkin-Elmer-Corporation“ gehören, einer der größten Arbeitgeber im Raum Überlingen. Die „High-Tech“- Produktion sieht unter anderm so aus: Man arbeitet an der Entwick lung der Luft-Luft-Rakete ASRAAM; für das Kampfflugzeug Tornado werden Cockpitinstrumente, Flugregelsysteme und Triebwerksregler geliefert. Das Navigationssystem des Panzers M 113 kommt ebenfalls aus Überlingen sowie auch die Bordrechner für die Flugzeuge, die mit der Luft-Schiff-Rakete Kormoran bestückt sind.
Die gute Auftragslage der Bodenseewerke wird durch die Teileproduktion an dem Luft-Luft- Fluglenkkörper Sidewinder AIM-9L komplettiert.
Das Geschäft blüht, der Betrieb denkt seit einiger Zeit an räumliche Ausdehnung. Für die nächsten 20 Jahre stellen die Werks- Manager zusätzliche 1.500 Arbeitsplätze in Aussicht. Das hört man in Überlingen gerne, denn schließlich ist das Werk nicht nur der größte Arbeitgeber am Ort, sondern läßt auch noch jährlich über 5 Millionen Mark in den Stadtsäckel fließen. Da macht es auch nichts, wenn den Erweiterungswünschen der Bodenseewerke die innere Logik fehlt: Vor zwei Jahren noch war von zusätzlichen 10 Hektar und 2.500 bis 3.000 neuen Arbeitsplätzen die Rede. Zwischenzeitlich wurde um 14 Hektar gefeilscht, aber die Zahl der angeblich neuen Arbeitsplätze hatte sich halbiert. Den politisch Verantwortlichen in Überlingen war und ist das allemal schnurz. In zum Teil nichtöffentlichen Gemeinderatssitzungen und vertraulichen Gesprächen glaubte man im Sommer 1986, das passende Areal gefunden zu haben. Bei drei Gegenstimmen (zwei Sozialdemokraten, ein Grüner) beschloß der Überlinger Gemeinderat, das zum Teil landwirtschaftlich genutzte Flurgrundstück „Langäcker“ den Bodenseewerken zur Verfügung zu stellen. Die Sache schien gelaufen, „Langäcker“ sollte in den Flächennutzungsplan aufgenommen und als Baugebiet ausgewiesen werden. Doch dann kam alles ganz anders.
Daß der BUND gegen die beabsichtigte Betriebserweiterung Bedenken anmeldete, schreckte erstmal niemanden. Industrieerweiterungen sollten „vorrangig im seefernen Bereich“ geplant werden, schrieben die Naturschützer und kritisierten weiter, daß eine Bebauung des Flurgrundstückes „Langäcker“ ökologisch nicht vertretbar sei. Das Bauvorhaben bedrohe 25 geschützte und 14 bedrohte Pflanzen- und Tierarten. Außerdem warf der BUND der Überlinger Verwaltung vor, gegen das „Internationale Leitbild für das Bodenseegebiet“ zu verstoßen – eine weitergehende Zersiedelung der Bodenseelandschaft sei demnach unzulässig.
Wie gesagt, auf den Protest aus BUND-Kreisen – „Die Berufsmotzer aus der Öko-Ecke“ – hatte man gewartet. Als sich aber das Regierungspräsidium Tübingen im Januar 1987 der BUND-Kritik mit nahezu den gleichen Bedenken anschloß und das vom See rund zwanzig Kilometer entfernte Pfullendorf als weiteren Standort für die Bodenseewerke empfahl, war in Überlingen der Bär los. Bürgermeister Reinhard Ebersbach, der mit seiner CDU- und „Freie-Wähler“-Mehrheit alles so schön eingefädelt hatte, sprach von einem „Skandal“, der Südkurier-Be richterstatter fühlte sich gar an die in westlichen Breitengraden so verpönte „Planwirtschaft“ erinnert. Das könne ja nicht angehen, daß eine von der CDU dominierte Behörde den eigenen Leuten ins Kreuz trete. Der Ärger war groß, manchen geriet das bis dato so unerschütterliche Weltbild ins Wanken.
Die Stadt Überlingen forderte umgehend das Landratsamt in Friedrichshafen auf, dennoch die Änderung des Flächennutzungsplanes zu genehmigen. Schließlich habe das übergeordnete Tübinger Regierungspräsidium nur eine „Empfehlung“ abgegeben. In Überlingen wurden die eigenen Planungen nochmal überarbeitet. Ergebnis: Wenn es denn sein müsse, kämen die Bodenseewerke auch mit weniger Platz aus. Doch auch dieses Entgegenkommen brachte nicht den gewünschten Erfolg. Erst vor wenigen Tagen meldete sich Tübingen abermals – mit der gleichen „Empfehlung“.
„Schizophren“ wetterte Bürgermeister Ebersbach, und Walter Quadt, der Vorsitzende der Geschäftsführung der Bodenseewerke, war „unangenehm berührt“. Unverständlich sei für ihn, daß sich Tübingen somit „gegen die Interessen der hiesigen Industrie und der Arbeitnehmerschaft und für die Belange des Umwelt- und Naturschutzes“ ausgesprochen habe. Für den Standort Pfullendorf kann sich Quadt nicht erwärmen: „Wir wollen in Überlingen bleiben“, aber ab sofort soll geprüft werden, „inwieweit eine Erweiterung in München möglich ist“. Ein unüberhörbarer Warn schuß für die Überlinger, der ihnen durch Mark und Bein ging. Die Stadt ist nun abermals gefordert, um ihren größten Arbeitgeber am Ort zu halten. Ein Rest Hoffnung spiegelt sich in den finsteren Mienen der Überlinger Stadtväter wider: Solange aus Tübingen keine „Weisung“ an das Landratsamt Friedrichshafen geht, sondern es bei einer „Empfehlung“ bleibt, ist das Werben um den Rüstungsbetrieb mit Elan und Tatkraft fortzusetzen.
Warum das Regierungspräsidium den Standort Pfullendorf anpreist wie sauer Bier – darüber herrscht Unklarheit. Vordergründig wird für „die Stärkung des strukturschwachen, ländlichen Raumes im Bodensee-Hinterland“ geworben. Immer öfter fällt aber auch der Name von Innenminister Dietmar Schlee, denn Pfullendorf ist sein Wahlkreis und die Landtagswahlen stehen vor der Tür. Das Angebot der Pfullendorfer an das Überlinger Rüstungsunternehmen steht: Das für das Werk in Frage kommende Grundstück wird zum Nulltarif angeboten.
Auch die ein paar Kilometer vom nördlichen Bodenseeufer gelegene Stadt Stockach will da nicht nachstehen, Bürgermeister Franz Ziwey quält seit Jahren eine Arbeitslosenquote von 14 Prozent – selbstredend, daß er den Bodenseewerken schon lukrative Angebote unterbreitet hat. Der so heiß umworbenen Betrieb kann sich genüßlich mitansehen, wie sich einzelne Gemeinden gegenseitig unterbieten. Die Drohung der Bodenseewerke, eventuell den Standort zu verlegen, war ein Treffer ins Schwarze. Krieg oder Frieden: Bei dem Geschäft ist eben eine hohe Trefferquote das Maß aller Dinge.
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