: Illegale Genversuche in der Pampa
Mit US-Mitteln ist in Argentinien ein „Freiland-Versuch“ mit künstlichen Viren durchgeführt worden Freigesetztes Virus gegen Rindertollwut wahrscheinlich auf Menschen übertragen ■ Von Gaby Weber
In den USA sind sogenannte Freiland-Versuche mit künstlich hergestellten Viren verboten. Also verlagerten Wissenschaftler des US-amerikanischen „Wistar“-Instituts ein gentechnologisches Experiment kurzerhand nach Argentinien. Das aus Pocken- und Tollwut-Viren „gebaut
Ein im Genlabor hergestelltes Virus ist in den menschlichen Organismus gelangt. Das haben jetzt Untersuchungen des argentinischen Gesundheitsministeriums ergeben, die wegen der letzten Militär-Rebellion in Argentinien von der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen wurden. Die Übertragung des künstlichen Virus auf den Menschen sei nicht versehentlich, sondern mit Absicht geschehen und von Anfang an Teil des geheimen und illegalen Versuchs gewesen, behauptet der Direktor von SENASA, dem nationalen Dienst für Tiergesundheit.
Ein Bundesrichter ermittelt inzwischen gegen die Verantwortlichen, und im argentinischen Außenministerium bereitet man sich auf einen Schadenersatz-Prozeß gegen das US-amerikanische Wistar-Institut vor.
Die Geschichte liest sich wie ein kriminalroman. Im September 1986 informierte ein argentinischer Wissenschaftler, der in den USA im renommierten Wistar-Institut arbeitete, seinen ehemaligen Professor an der Fakultät für Exakte Wissenschaften in der Hauptstadt Buenos Aires über einen Versuch mit einem künstlichen Virus, der in Azul, im Süden der Provinz Buenos Aires, durchgeführt wurde.
Dies geschah auf dem Versuchsgut der „Cepanzoo“ (Centro panamericano de Zoonosis), einem Ableger der panamerikanischen Gesundheitsorganisation PAHO, einer Unterorganisation der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). In den USA sind solche Freilandversuche strikt verboten, in Argentinien gibt es bislang keine entsprechende Gesetzgebung.
Unter der Leitung von Professor Hilary Koprowski testete das Wistar-Institut einen neuen Impfstoff gegen Rindertollwut. „Das künstliche Virus wurde im Diplomatenkoffer ins Land gebracht“, berichtet der Veterinärmediziner und SENASA-Chef Dr. Oscar Alejandro Bruni. Die Wistar-Gentechniker hatten im Labor ein Rindertollwut-Virus mit einem Pocken-Virus kombiniert.
Mit dem neuen Virus wurden dann in Argentinien 20 Milchkühe geimpft, während 20 weitere, die in ihrer Nähe gehalten wurden, nicht geimpft wurden. Der Versuch sollte den Beweis erbringen, daß das Virus von den geimpften auf die nicht geimpften Kühe übertragen wird – nämlich von den frei in der Natur lebenden Tolwutüberträgern, Füchsen und Stinktieren.
Durch die Indiskretion flog der den argentinischen Behörden nicht gemeldete Versuch vorzeitig auf. SENASA-Chef Dr. Bruni riegelte sofort das Gelände ab und ließ die 40 Kühe schlachten, freilich nicht ohne vorher das Blutserum einzufrieren. Dessen Auswertung ergab, daß das Virus wie geplant auf die nicht geimpften Milchkühe übertragen worden war.
Untersuchungen der Melker bewiesen schließlich, daß sie die Überträger gewesen waren. In ihrem Blut sind jetzt Antikörper gegen die Tollwut nachgewiesen worden. Zwar erklärt Rodolfo Rodriguez, Staatssekretär im argentinischen Gesundheitsministerium, daß die beteiligten Personen in der ersten Auswertungsserie keine Auffälligkeiten aufwiesen, die im Zusammenhang mit dem Experiment stehen könnten. Es sei auch eine Kommission gebildet worden, die den Gesundheitszustand der Landarbeiter permanent beobachtet habe. Außerdem habe man bei keinem dieser Leute eine pathologische Veränderung feststellen können, das heißt, niemand sei krank geworden.
„Doch in einem dieser Laborberichte, in denen das Serum der Leute analysiert wurde, steht, daß bei einigen der Melker andere Antikörper nachgewiesen wurden als diejenigen, die sie zu Beginn des Experiments schon hatten. Das bedeutet, daß diese Personen in Kontakt mit dem Virus gestanden haben, und daß ihr Organismus gegen das Virus eine Abwehr entwickelt hat. Das Virus selbst haben wir nicht nachweisen können, nur die Abwehr dagegen, die Antikörper.“ Rodriguez warnt vor einer Panikmache. Die Behörden hätten die Situation voll im Griff.
Inzwischen sind strafrechtliche Schritte eingeleitet worden. Der Bundesrichter in Azul ermittelt gegen die Organisation Cepanzoo und den Auftraggeber, das Wistar-Institut. Cepanzoo hatte die Ermittlungen zu blockieren versucht, indem sie auf ihren diplomatischen Status pochte. Der Oberste Gerichtshof Argentiniens hat inzwischen die Rechtmäßigkeit der Ermittlungen ausdrücklich bestätigt.
Es geht allerdings auch um viel Geld. Zwar hatte das Wistar-Institut vom US-Gesundheitsministerium (NIH) seit 1980 drei Millionen Dollar für die Erforschung eines Tollwut-Impfstoffes erhalten, doch der geschäftstüchtige Prof. Koprowski hatte für das Experiment in Azul gerade 65.000 Dollar ausgegeben, denn die gesamte Infrastruktur hatte ja die PAHO-Unterorganisation Cepanzoo zur Verfügung gestellt.
Gegen den in den USA erhobenen Vorwurf, man habe NIH-Gelder für die in den Vereinigten Staaten verbotenen Experimente verwandt, verteidigte sich das Wistar-Institut mit dem Hinweis, daß der Versuch in Argentinien von der privaten Rockefeller-Stiftung und der französischen Merieux- Stiftung finanziert worden sei.
Weder im PAHO-Büro in Washington noch in ihrer Zweigstelle in Buenos Aires, der Cepanzoo, will man sich zu den Vorwürfen äußern. „Ich fürchte“, so PAHO- Direktor Carlyle Guerra de Macedo, „daß jede zusätzliche Information, die PAHO zu diesem Punkt geben könnte, unsere exzellenten Beziehungen zu der argentinischen Regierung gefährden könnte.“.
Die sind jetzt ohnehin in Gefahr. Der argentinische Gesundheitsminister hat seinem Kollegen im Außenministerium die Ergebnisse der letzten Untersuchungen mitgeteilt.
Wie dieses künstlich hergestellte Virus reagieren wird, wie es in der Natur bzw. im Menschen mutieren wird, das kann niemand voraussehen. Theoretisch ist alles möglich, sagen die Wissenschaftler. „Wir behalten un alle Schadenersatzansprüche vor“, kündigt Staatssekretär Rodriguez an. „Dies gilt für alle möglichen Schäden, bei Mensch, Tier, der Umwelt oder was immer auch eintreten kann.“
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