: 1688 – Die unvollendete Revolution
Ansichten einer Insel ■ Aus London Rolf Paasch
Es gibt Völker, die sind stolz auf ihre Revolution, und andere, die sich ihrer schämen. Es gibt Nationen, die sich historischer Umwälzungen gerne kollektiv erinnern, und andere, die bestimmte Ereignisse aus der Vergangenheit lieber vergessen. Während die Amerikaner die 200-Jahrfeier ihrer Verfassung selbstbewußt hinter sich gebracht haben und die Franzosen sich schon jetzt mit republikanischem Eifer für den 200.Sturm auf die Bastille rüsten, findet das 300-Jahrgedächnis der Briten für ihre „Bill of Rights“, die nach dem Sturz des Katholiken James II. durch den Protestanten William von Oranien verkündet wurde, in aller Stille statt.
Ausgerechnet in dem Land, wo die „Heritage-Industrie“ – das Geschäft mit der Re-Inszenierung der eigenen Geschichte – gerade fröhliche Urstände feiert, wo selbst die working class die Landhäuser des Adels mittlerweile als „unser Erbe“ reklamiert, weiß niemand mit dem Schulbuch-Datum 1688 so recht etwas anzufangen. War es eine Tory- Revolution gegen die Macht Roms, oder war die Unterwerfung der Krone unter den Willen des Parlaments – wie es die Geschichtsschreiber des 18. und 19.Jahrhunderts sahen – ein revolutionärer Sieg der Whigs? Oder handelte es sich um eine historische Wende, deren „unrevolutionäre Natur“ den konservativen Historiker Macaulay auch deswegen begeisterte, weil sie den Briten in den folgenden zwei Jahrhunderten eine jener „zerstörenden Revolutionen“ ersparte, die in anderen Ländern gleich das gesamte Staatswesen umkrempelten?
Während sich die nordirischen Protestanten schon darauf vorbereiten, den Sieg König Billys über den katholischen James II. im Sommer mit ihren reaktionären Trommelschlägen zu feiern, herrscht in der Labour Party in Sachen „Bill of Rights“ völlige Ratlosigkeit. Revolution oder nicht, das scheint für die britische Linke eine bisher ungeklärte Frage. Dabei könnten sich die progressiven Kräfte im Lande ausgerechnet bei dem bereits erwähnten Macaulay über das enorme Bedeutungspotential des Sturzes James II. durch den Hollandimport William von Oranien informieren. Die das Ende des katholischen Absolutismus markierende „Bill of Rights“, so schreibt Macaulay, „beinhaltete den Keim der Gesetze, die den Dissenters ihre religiöse Freiheit gaben, die Unabhängigkeit der Richter gewährleisteten,..., die Freiheit der Presse unter den Schutz einer Jury stellten, ... und jedes guten Gesetzes, das in den vergangenen anderthalb Jahrhunderten verabschiedet worden ist.“
Anno 1988 müßte selbst der Labour Party aufgegangen sein, daß auf der demokratischen Saat der „Bill of Rights“ gerade in diesen Tagen wie wild herumgetrampelt wird. Statt die Freiheit von „Dissenters“ zu respektieren, bläst die Regierung derzeit zur Schwulenhatz und will die „Befürwortung von Homosexualität“ verbieten; keine unabhängige Justiz, sondern eine konservative Richterkaste hat gerade sechs Iren zu lebenslanger Haft verdonnert, an deren terroristischer Schuld erhebliche Zweifel bestehen; die Freiheit der Presse wird immer häufiger dem „Interesse des Staates“ untergeordnet; und ausgerechnet jetzt, wo die Souveränität des Parlaments zu feiern wäre, setzt der britische Geheimdienst der konservativen Konter-Revolution im wahrsten Sinne des Wortes die Krone auf: Beim krampfhaften Versuch, illegale Abhöraktionen zu rechtfertigen, berufen sich die „Agenten ihrer Majestät“ auf die „königliche Prärogative“, so als habe es 1688 nie gegeben. In der Tat erlebt die damals entmachtete Monarchie – wenn auch nur in Form der soap opera „Buckingham Palace“ – eine erstaunliche Renaissance, während von der „Bill of Rights“ heute niemand mehr spricht. Statt in eine Verfassung zu münden, blieb das frühe Dokument bis heute nur Symbol einer unvollendeten Revolution, an das keiner gerne erinnert werden möchte: die Opposition nicht, weil es ihr historisches Versagen dokumentiert; Regierung und Establishment nicht, weil sie die republikanische Vollendung der mit den „Bill of Rights“ begonnen Revolution nicht herbeireden möchten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen