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Der Wasser und der Menschen Massen

■ Der Rhein schwappt tiefer, als die Hochrechner vorhergesagt haben / Die Zehn–Meter–Marke wird knapp unterschritten / Die Masse der Neugierigen ist jedoch schwer einzudämmen / Die Polizei hat nichts zu tun, ist aber überall präsent

Über den Wassern Oliver Tolmein

„He Sie da! Treten Sie hinter die Absperrung zurück!“ - „Warum denn?“ - „Weil abgesperrt ist“ - „Ja, aber warum?“ - „Wegen dem Hochwasser“ - „Hochwasser wo?“ Wo am Sonntag am Kölner Rheinufer noch frei flaniert werden konnte, regelt am Montag die Polizei, was nicht zu regeln ist. Wenn der Rhein schon nicht sicher einzudämmen ist, mag sich die Einsatzleitung gedacht haben, halten wir wenigstens die Bevölkerung in Schach. Alle paar Meter stehen Beamte, wirken ratlos, weil der Zweck ihres Tuns, nämlich zu verhindern, daß die Neugierigen dem Rhein zu nahe kommen, offensichtlich keinen Sinn macht. Mies gelaunt sind die teilweise aus dem Umland zusammengezogenen Ordnungshüter auch: Sie stehen in Halbschuhen in den großen Pfützen und ohne Schutzkleidung im Regen. „Der Befehl zum Dauereinsatz kam erst um 22 Uhr, da waren wir aber schon auf der Wache, und die Regenkleidung haben wir zu Hause“, klagt einer und erschüttert damit das Bild von der gutorganisierten Polizei. Die vergleichsweise chaotische taz–Redaktion ahnte immerhin schon um 17 Uhr, daß für ihren Redakteur eine Nachtschicht im Feuchten angesagt ist. Damit den Beamten bis zu ihrem Dienstende um 7 Uhr morgens nicht gar zu kalt wird, haben zwei Mädchen aus der Nachbarschaft eine Kanne Tee und Kandiszucker nach unten gebracht. Die Polizisten sind ganz gerührt - „Sowas erlebt man heutzutage selten“ - und werden sofort redselig. Daß Neugierige ans Wasser kommen, können die beiden ja noch verstehen, aber daß die nur darauf warten, daß die Katastrophe kommt, also nein: „Das ist ja richtig sensationslüstern.“ - „Widerwärtig“, bestätigt ihn sein Kollege. Ob ihnen der Dienst hier draußen nicht auch mehr Spaß macht, als harmlose Fahrradfahrer ohne Licht zu verfolgen, will eine der Teelieferantinnen wissen. „Das hätten Sie jetzt nicht sagen sollen: Fahrradfahrer ohne Licht sind mein Steckenpferd - mehr noch aber die, die bei Rot über die Ampel fahren.“ Die Gemütlichkeit ist weg, der Diensteifer wird wieder wach: „He Sie da! Treten Sie hinter die Absperrung zurück!“ - „Ich will doch nur zum Pegel gucken.“ - „Das wollen sie alle, aber das ist verboten!“ - „Haben Sie Angst, ich könnte mich erschrecken?“ Die Wertung der Umstehenden ist eindeutig: eins zu null gegen die Polizei. Die Reaktion erfolgt prompt: „So jetzt treten wir mal alle einen Meter zurück. Wir sperren hier schließlich nicht zum Spaß ab.“ Ein Altstadtbewohner glaubt den Clou gegen Überschwemmung gefunden zu haben: Er läßt seinen Keller mit Wasser aus dem Wasserhahn vollaufen, damit er, wenn es schon naß wird, wenigstens nicht die dreckigen Fluten im Haus hat. Unterdessen läuft in Onkel Joes Jazzlokal Business as usual. Eine laute live Band, teures Kölsch. Die Bedienung schafft das freundliche Lächeln nur noch alle fünf Minuten. Kurz vor eins wird dann eine Wasserpumpe angeliefert. Ein Betrunkener an der Theke kramt 136 Mark raus, um seine Zeche zu bezahlen. Noch schwieriger als die Zehn– von den Hundert– Mark–Scheinen zu unterscheiden, fällt es ihm jedoch, die Kneipe zu verlassen. Draußen auf den Gas sen hat nämlich der Katastrophenschutz einen Meter hohen Steg aufgebaut, damit im Falle eines Falles die Häuser zugänglich bleiben. Solange das Wasser aber noch von der mobilen Stauwand aufgehalten wird, stehen die Stege wie Barrikaden. Jeder Straßenwechsel wird zum Geschicklichkeitstraining: bücken, sich zwi schen den Stahlverstrebungen durchzwängen, ohne in die Pfütze zu fallen - wer das schafft hat garantiert weniger als 0,8 Promille. Mit etwas Glück steht auf der anderen Seite auch noch ein Fernsehteam: „Die Altstadt wird offensichtlich hochwassersicher gemacht. Kommen Sie als Neugieriger oder wollten Sie sowieo hierher?“ fragt ein ARD–Reporter, dem vermutlich noch nie intelligentere Fragen eingefallen sind. „Wann kommt die Sendung“, will eine Gruppe Jugendlicher wissen, bevor sie die Frage beantwortet. „18.30 Uhr im Ersten Programm“ scheint ihnen interessant genug, um sich der Mühe zu unterziehen, ein paar Sätze in die Kamera zu stottern: „Nein, also ich bin öfter hier in der Altstadt.“ - „Danke, das reicht schon.“ Es ist halb zwei Uhr nachts. Am Rheinufer stehen noch dichte Menschentrauben, die Rheinuferstraße ist nach wie vor gesperrt, überall stehen Mannschaftstransportwagen mit gelangweilten Polizisten. Am nächsten Morgen um 7 Uhr sind das erstemal seit Sonntag die Staumeldungen in WDR II wieder länger als die Berichte vom Pegelstand. Mehr als 9,96 Meter schafft der Rhein dieses Jahr wohl nicht. Das Jahr 1764 hält weiter den Rekord: Beim damaligen Pegelstand von über 13 Metern stand die halbe Domstadt unter Wasser. Diesmal bleibt die Katastrophe aus, und die Sensation wird zur Routine.

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