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Erfolgreicher Vermittler Algerien

■ Das Prestige aus dem Befreiungskampf, die strikte Neutralität im Ost–West–Konflikt sowie gute Beziehungen zu allen arabischen Staaten sind die Voraussetzungen für Algeriens Anerkennung als Vermittler

Von Sabine Kebir

Berlin (taz) - Die algerischen Fernsehzuschauer haben sich daran gewöhnt, daß die allabendlichen Nachrichten nicht mit dem Spannendsten eröffnet werden: Fast täglich sieht man den Flugplatz mit rotem Teppich. Präsident Chadli Benjedid empfängt einen, manchmal auch mehrere Staatsgäste täglich. Nach dem Abspielen der Nationalhymnen, dem Händeschütteln am Spalier der Minister folgt eine jorunalistische Befragung des Ankömmlings, deren Fazit stets das gleiche ist: Die Beziehungen zu Algerien sind bestens und sollen in Zukunft noch besser werden. Nicht nur Staatsmänner geben sich in Algier einander die Klinke in die Hand. Mit beträchtlichen Ehren werden hier auch zukünftige Staatsmänner empfangen, Vertreter von Befreiungsbewegungen. Sie können auf ein offenes Ohr und zumeist auch auf Unterstützung der Algerier hoffen, die zwischen 1954 und 1962 einen antikolonialen Befreiungskrieg führten. Daß hinter den Kulissen doch mehr zustandekommt als die Fernsehzuschauer mitbekommen, wurde durch die halbwegs glückliche Lösung des Geiseldramas dieser Tage deutlich. Das gute Verhältnis der Algerier zu aller Welt ist nicht Phrase, sondern buchstäbliche Realität. Ihr Prestige aus dem Befreiungskampf haben die Algerier geschickt genutzt, um aus ihrem Land ein wichtiges internationales Konsultationszentrum zu machen. Da die Länder der „Dritten Welt“ selbst längst nicht alle neutral im Ost–West–Konflikt sind, gehört zur algerischen Rolle eine echte Neutralität zwischen den Blöcken. Die sozialistischen Optionen Algeriens nach der Unabhängigkeit führten zwar zur Annäherung an die Sowjetunion. Die guten Beziehungen zu den USA hat Algerien dennoch nie aufgegeben. Schon während des algeri schen Befreiungskampfes ließ Washington ein FLN–Büro in New York zu. Die Armee bezieht auch Ausrüstung und Ausbilder aus den USA und anderen westlichen Ländern. Sie folgt damit einem Prinzip der gesamten algerischen Wirtschaft: Um der Unabhängigkeit eines Landes oder Blocks zu entgehen, wird in aller Welt eingekauft. Algerien ist nach Fläche, Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft der stärkste der Maghrebstaaten. Vor allem seinem Einfluß ist es wohl zuzuschreiben, daß sich der west–östliche Einfluß seit langem in der ganzen Region neutralisiert. Den Algeriern gelang es, den Westsaharakonflikt mit Marokko zu begrenzen und als politisches Ziel die Losung des Großen Maghreb, einer Union der nordafrikanischen Völker, auszugeben. Präsident Chadli bringt es fertig, sich demonstrativ kurz hintereinander mit Libyens Ghaddafi und mit dessen Erzfeind Hassan von Marokko zu treffen. Algerien schafft es immer wieder, auch innerhalb der tief gespaltenen arabischen Welt neutrale, oft auch vermittelnde Positionen einzunehmen. Nur diese Fähigkeit zur Vermittlung war es, die die schiitischen Entführer des kuwaitischen Jets auf den Flugplatz Houari Boumediene lockte. Auch die Kuwaitis dürften in diesem Moment aufgeatmet haben, denn Algerien hatte bereits in mehreren Flugzeugentführungen und Geiselnahmen erfolgreich vermittelt, darunter bei der Besetzung der US–Botschaft in Teheran. Die Algerier stellten auch den katholischen Priester, der den amerikanischen Geiseln damals die Weihnachtsmesse lesen durfte: Monsignore Duval, der langjährige Erzbischof von Algier und Verfechter einer Art afrikanischer Theologie der Befreiung. Obwohl Algerien in den Augen der meisten US–Bürger ein kommunistisches Land ist, hatte die algerische Botschaft in Washington seinerzeit Schwierigkeiten, die als allen Landesteilen privat gesendeten Geschenke zu lagern. Die algerischen Vermittlungskünste haben freilich auch Opfer gekostet. Außenminister Benyahia kam im Frühjahr 1982, als er sich auf dem Wege zu einem Vermittlungsversuch im irakisch–iranischen Konflikt befand, auf mysteriöse, offiziell nie geklärte Weise um. Sein Flugzeug war angeblich in eine Kampfzone geraten und beschossen worden. Jedenfalls stürzte es über türkischem Gebiet ab. Wer allzugroße Angst vor Flugzeugentführungen hat, sollte sich in Zukunft überlegen, ob er nicht die bescheidene und oft nicht ganz pünktliche Air Algerie wählt. Die Gefahr, entführt zu werden, ist gering. Wie mir ein hoher Beamter der Fluggesellschaft einmal anvertraute, ist es allerdings 1982 doch einmal zu einem Entführungsversuch einer algerischen Maschine gekommen, der jedoch von einem beherzten Flugbegleiter vereitelt wurde. Kaum hatte der Entführer den Passagieren erklärt, daß sie sich als Geiseln zu betrachten hätten, wies ihn der Steward in höflich bestimmten Tone darauf hin, daß hier ein Irrtum vorliegen müsse, denn es gäbe schier kein Land und keine Bewegung, der Algerien, wenn nicht Freundschaft, so doch Verständnis entgegenbringe, weshalb eine Flugzeugentführung sinnlos sei. Die Verblüffung des Entführers gab den anderen Crewmitgliedern Zeit genug, ihn zu überwältigen.

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