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taz und Kunzelmann vor Gericht

■ Wegen „Verunglimpfung des Staates“ (“kriminelle Vereinigung“) standen der Ex–ALer Kunzelmann und taz–Redakteure erneut vor Gericht / Staatsanwalt fordert für Kunzelmann 4 Monate ohne Bewährung

Aus Berlin Plutonia Plarre

Gestern begann vor dem Berliner Landgericht der Berufungsprozeß gegen den Ex–AL–Abgeordneten Dieter Kunzelmann und drei Redakteure der taz wegen Verunglimpfung des Staates. Wie berichtet, hatte Kunzelmann im März 1986 in einem Interview mit der taz zum Thema Korruptionsaffaire im Baubereich den Senat als „kriminelle Vereinigung“ bezeichnet. Den taz–Redakteuren wird Mittäterschaft vorgeworfen, weil sie Kunzelmann Gelegenheit zur Veröffentlichung seiner „strafbaren Äußerung“ gegeben hätten. Alle vier Angeklagten waren im Juli vergangenen Jahres in erster Instanz mit der Begründung freigesprochen worden, Kunzelmann habe zwar eine sehr harte Kritik am Senat geübt, er habe mit dieser aber nicht beschimpfen, sondern aufdecken wollen. Aufgrund der Berufung der Staatsanwaltschaft begann der Prozeß gestern erneut. Dieter Kunzelmann bezeichnete das Verfahren als „Anachronismus“. Seine Äußerungen in dem Interview seien in der Zwischenzeit durch zahlreiche Senatoren–Rücktritte und Urteile gegen Politiker noch „weit übertroffen“ worden. Selten seien die „kriminellen Machenschaften“ und die „Verquickung von politischer und wirtschaftlicher Macht“ so deutlich zum Ausdruck gekommen wie im Berliner Bauskandal. Heute würde er für derartige Vorgänge, die durch die Bar schel–Affaire noch weiter angereichert worden seien, noch ganz andere Begriffe verwenden als den der „kriminellen Vereinigung“, denn: „Das würde der Wahrheit noch näher kommen.“ Keinerlei „Geschäftsgrundlage“ für diesen Prozeß sahen auch die Redakteure der taz: „Es besteht keinerlei Veranlassung, Interviewpartner zu zensieren“. Es müsse möglich sein, Personen der Zeitgeschichte nach ihrer klaren Meinung zu befragen, ohne mit dieser anschließend identifiziert zu werden. Kunzelmann habe die politische Situation in der Stadt mit der Metapher „kriminelle Vereinigung“ jedoch überaus trefflich beschrieben. Der Beweisantrag der Verteidiger, zahlreiche Akten aus den Korruptionsprozessen als Beleg für die Verstrickung der Amtsträger in die Geldflüsse heranzuziehen, wurde abgelehnt. Hatte die Staatsanwaltschaft im ersten Durchgang für Kunzelmann noch 1.800 Mark Geldstrafe gefordert, so wurden daraus gestern vier Monate ohne Bewährung, weil er bereit sei, den Senat weiterhin so zu titulieren. Für die Redakteure der taz beantragte er 30 bzw. 40 Tagesssätze zwischen 80 und 50 Mark, weil die Presse sich mit ihren Interwievs an die Grenzen zu halten habe. Das Urteil stand bei Redaktionsschluß noch nicht fest.

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