Kein falscher Ton

■ Poet der kleinen Leute: Theodor Kramer, Montag, 1.8., ZDF, 22.10 Uhr

Aufmerksame Leser werden sich an die Verse von Theodor Kramer erinnern, mit denen die Medienredaktion den Film von Christoph Buch angekündigt hat:

„Wann immer ein Mann trifft auf einen,

Der im Winkel sitzt stumm und allein

So schuldet, sollte ich meinen,

Er ihm ein Glas Bier oder Wein.

Bis die Augen nicht unstet mehr wandern,

Und sich aufhellt das bittre Gesicht

Dies schuldet ein Mann einem anderen,

Aber zuhören muß er ihm nicht.

Solche Strophen streifen die Vollkommenheit. Das freut und macht lachen. Auch wenn in diesem Fall der verdienstvolle Nachlaßverwalter Erwin Chvojka den Abdruck in Bernd Eilerts „Hausbuch der Hochkomik“ untersagte: Dieses Gedicht sei nicht zum Lachen. Als ob Komik wertmindernd sei.

Theodor Kramer ist ein großer Dichter. Als „der Poet der kleinen Leute“ wird er angekündigt; für die Wiener Arbeiterzeitung ist er in den dreißiger Jahren „der lyrische Dichtergenosse Theodor Kramer“.

Über ihn macht Christoph Buch einen Film 45 Minuten lang. Kein Feature mit vielen Sprechern und Bildern, mit kauzigen Zeitzeugen und Fakten und Daten zum Steinerweichen. Buch ist streng bei der Sprache geblieben. Der sehr gute Schauspieler Otto Schenk wird im Vorspann gezeigt, wie er Maske macht: Er schminkt und verkleidet sich als Theodor Kramer. Fortan geht er durch den Film - eine Vergegenwärtigung, die sich dem Einverständnis gleich wieder entzieht. Ein Fremder. Eine jener Gestalten in Hut und Mantel, die auf Oelzes großem Bild den Weltuntergang erwarten. Eine Kunstfigur, die Irrealitäten sinnfällig macht in Kramers Sprache. Schenk spricht Texte, hörbar und erkennbar als Zitat. Und immer wieder Gedichte.

In den zwanziger Jahren war Kramer ein namhafter Lyriker mit Veröffentlichungen in Zeitungen, Zeitschriften, Sammelbänden. Er erhielt einige Preise.

„Ich glaube an die Lebendigkeit der Lyrik“ - eine seiner seltenen Statements zur eigenen Arbeit. Gereimt klingt's besser: „Schön ist's, Tag für Tag zu schreiben, dies und das davon wird bleiben.“ Das ist sein Ton: kein Geschrei, kein Raunen, kein Agitprop. Und vor allem: keine Anstrengung, keine Mühe sind spürbar; seine Verse schwitzen nicht. Kein falscher Ton.

Theodor Kramer im Elend: „Wer läutet draußen an der Tür?“ Diese wiederholte Zeile führt geradewegs von Strophe zu Strophe ins Verderben: „Pack, Liebste, mir mein Waschzeug ein, sie sind da.“ Das alltägliche Unglück im Exil, diskret aus einigen Zitaten montiert: „Ich fräß‘, daß man mich druckte, Gras...“ Rückblenden und Vorausschauen diskret darein verwoben. Informationen hat Christoph Buch, so gut es ging, aus autobiographischen Briefen und Statements eingefügt. Sonst: Otto Schenk spricht Theodor Kramer. Gedichte, illustriert mit Bildern und Filmausschnitten. Meist Lokaltermin in Guildford, England - dort lebte Kramer von 1939 bis 1957 im Exil. Zurück in Wien, stirbt er 1958.

Über zehntausend Gedichte gibt es von ihm. Die meisten unveröffentlicht. An einer Gesamtausgabe, so hörte ich gerüchteweise vor Jahren, werde gearbeitet. Ein Sammelband, betreut vom treuen Erwin Chvojka, ist 1982 bei Hanser erschienen: „Orgel aus Staub“. Theodor Kramer, „Pfingsten für zwei alte Leute“:

„Gewaltig, Alte, glaub mir, ist das Leben

In allem, wenn wir es nur richtig tun,

Wenn wir dabei sind, wie wir uns erheben

Und ganz dabei, wenn wir ein wenig ruhen.

Ist lahm das Kreuz auch eine Hand beschädigt,

Es ist der Mensch damit noch nicht erledigt.“

F.W. Bernstein