piwik no script img

Träumereien eines Literaturprofessors

■ „Nach der Natur“ - Karl Heinz Bohrers Essays über Politik und Ästhetik

Karl Heinz Bohrer hat nicht nur ein recht einseitig verzerrtes Bild der Moderne korrigiert und mit der Herausarbeitung des Faszinosums der Plötzlichkeit für das ästhetische Bewußtsein Wichtiges geleistet, er führt auch eine erfrischende Polemik gegen das Versöhnliche, gegen das allseits auf Verständnis Schielende und Moralinbefangene. Allerdings will der das Böse als Achse moderner Imagination thematisierende Professor mehr als den polemischen Essay oder die rein literaturgeschichtliche Analyse. Bohrer, immer wieder in Angriff auf den Vater oder die Institution Habermas, gelingen treffende und durch ihre Schärfe bestechende Entlarvungen der bundesdeutschen Unschuldigen, Zombies und guten Hirten, der Aufkündigung der symbolischen Formen im politischen und gesellschaftlichen Leben durch Authentizität und Angestelltenmentalität sowie des drögen Begehrens nach gesellschaftlichen Idyllen.

Doch wenn diese Einsichten metatheoretisch und zeitdiagnostisch unterkellert werden, verliert er sich in Gefechten mit Positionen, die freischwebend im Zirkus universitäter Diskursintimität zirkulieren. Bohrer, der gleichzeitig das Symbolische verteidigt und die Intensität propagiert, findet die Vorlagen für sein theoretisches Glück vorwiegend in den Pathosformeln der Vergangenheit. Folgerichtig steht die Trauer, ein „geistiger Zustand“, der zur „Theorie“ erhoben wird (weil Bohrer das, was er zu beweisen sucht, überall als Voraussetzung beansprucht, nämlich daß aus dem Gang ins ästhetische Bewußtsein keine „Handlungsanweisungen“ mehr folgen) am Ende seines neuen Buches. Seltsam mag auch erscheinen, daß er in dieser Sammlung bereits überwiegend im Hausorgan 'Merkur‘ veröffentlichter Texte einerseits von einer Ästhetik des Staates bzw. von deren deutscher Nichtexistenz spricht, andererseits aber das ästhetische Bewußtsein ganz ins Abseits der gesellschaftlichen Realität stellt. So entsteht auch hier eine idyllische Enklave von rein textuellen Intensitäten, Augenblicken und Grauenhaftigkeiten. Das mag ein Symptom des professoral eingefriedeten Diskurses sein, Anstößigkeiten auf dem Papier als Imaginationsfläche zu halten, ebenso wie Bohrer nur Autoritäten als zitatwürdig erachtet, die allesamt akademisch anerkannte Ereignisstifter und Plötzlichkeitssuchende sind.

Man hätte ja annehmen können, worauf der Untertitel des Buches verweist, daß hier Zusammenhänge zwischen Politik und Ästhetik erörtert werden, aber als treuer Ausdifferenzierer trennt Bohrer diese Ebenen säuberlich voneinander, obwohl eine Zusammenschau das eigentlich Interessante wäre und von Bohrer auch immer als stimulierender Hintergrund benützt wird. Daß gerade daraus fruchtbare Ansätze zu gewinnen wären, führt einzig sein Essay Über den Mangel an Symbolischem vor, wo das bundesdeutsche Ideal des „authentischen Menschen“ als Lückenfüller der verschwundenen politischen Kultur über eine Analyse von Saint-Just, einem prototypischen Politabenteurer, gedeutet wird. Es wäre ja auch erstaunlich, wenn das von Bohrer als Nachfolger von Natur- und Geschichtsphilosophie diagnostizierte Ästhetische sich nur auf dem Papier auswirkte und keine Spuren in der Inszenierung des Wirklichen hinterließe.

Es mag ja sein, wenn man sich einzig auf die Zeugnisse mittlerweile seriös gewordener Hochkultur - von den Romantikern über die Surrealisten bis hin zu Jünger und Handke, Grass und Böll - hält, daß die Imagination des Bösen in der postfaschistischen, friedensbewegten und naturbewahrenden Gegenwart hierzulande kaum zu finden ist. Ein kurzer Blick auf Film und Video aber würde das leicht korrigieren. Und wenn es um das Weiterwirken des ästhetischen Wunsches nach plötzlichen, sich dem Sinn und dem kommunikativen Diskurs entziehenden Ereignissen geht, dann braucht man nicht nur an deren Überführung in Literatur und höchstens noch an die Heroen der RAF zu denken, sondern dieser ließe sich etwa in der geradezu epidemisch sich ausbreitenden Anschlagsmentalität - von der Bombe über das Graffiti und das Hacking bis zur industriellen Lebensmittelvergiftung - überprüfen. Die Erzeugung von künstlichen Welten ist weiterhin nicht bloß auf literarische Imagination beschränkt, sondern bestimmt die Erfahrung des Alltags ebenso wie die der traditionellen und elektronisch aufgerüsteten Kunst.

Natürlich hat Bohrer recht, wenn er den Einschluß in die Haltung des Bewahrens kritisiert und dagegen die Faszination an der Zerstörung, am Bösen, am sinnlosen Grauen hervorhebt, doch fehlt jeder explizite Ansatz einer politisch -gesellschaftlichen Reflexion, weil das Böse eben nur ein Traum ist, nichts mit dem Projekt der Vernichtung der Natur und des Lebens, nichts mit ihrer gentechnischen Neuerfindung, nichts mit dem real andauernd praktizierten Grauen zu tun hat. Mit einer Attacke etwa auf die „verquaste Nachdenklichkeit“ über die „Zerstörung der Erde“ kann man sich, sofern man über das Böse in Politik und Ästhetik nachdenken will, wohl kaum davon distanzieren, zumal das sinnlose Grauen nicht nur bei Baudelaire, Poe, Flaubert, Kafka oder Jünger imaginiert wurde, sondern auf diese Imagination, wie in seinem eigenen Jünger-Bbuch deutlich abzulesen, als reale Erfahrung etwa des Krieges auch Einfluß hat. Darüber betrügt eine rein poetologische und bewußtseinsimmanente Analyse literarischer Topoi, auch wenn sich diese in der Unschuld des akademischen Diskurses wohl durchführen läßt. (Das ist ja alles sehr klug, aber derartige sekundärliterarische Texte habe ich mir noch nicht mal im Studium zugemutet... die leidende k.in)

Aber man könnte vermuten, es gehe Bohrer - dem Hüter nicht der Rationalität, sondern der „esoterischen Substanz“ der Moderne - dabei um die Bewahrung eines lebenspraktisch abgeschotteten Imaginationsraumes, der davon lebt, daß er vom Grauen oder von der Intensität spricht. Dafür spräche die Interpretation Sartres als Nachfolger Schopenhauers: „An die Stelle des erlebten Augenblicks, der nicht möglich ist, tritt der erfundene - die wahre Erfüllung des Lebens in der Kunst.“ Von der Trauer ist der Weg nicht weit bis zum Quietismus der Kunst.

Florian Rötzer

Karl Heinz Bohrer: Nach der Natur. Über Politik und Ästhetik. Edition Akzente. 230 Seiten, 28 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen