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KZ-Frauen: Mit erhobenem Kopf

■ Ehemalige Zwangsarbeiterinnen aus dem KZ Obernheide sind für eine Woche zu Besuch in Bremen An die Hilfe der BremerInnen erinnern sie sich lieber als an ihr Leiden

Sie kamen einzeln nach vorne und berichteten von ihren Erlebnissen in der Stadt, in die sie gestern nach 44 Jahren zurückgekehrt waren. Meistens war es das Gute, was sie gestern auf der Pressekonferenz den Journalisten erzählen wollten: der Trost im Elend, der ihnen geholfen hat zu überleben. Von heimlich zugesteckten Brotstükken war da die Rede, von dem rauhen, aber gütigen Vorarbeiter Jonny, sogar von einem Geburtstagskuchen, den die Bremerin Henny Brunken für eine jüdische Zwangsarbeiterin buk und von ihrem Kind durch die Postenkette schmuggeln ließ. Nach den Grausamkeiten, den Schlägen, den Todesopfern mußten die Frauen erst gefragt werden.

Rund achthundert jüdische Mädchen und junge Frauen deportierte die SS im Sommer 1944 aus polnischen und ungarischen Ghettos über Auschwitz nach Bremen. Der damalige Senator für das Bauwesen hatte sie angefordert und stellte sie Bremer Baufirmen zur Verfügung. Nach den Bombennächten mußten die jungen Mädchen in den Bremer Straßen Steine klopfen. Vier Mark pro Tag bekam die SS für Unterbringung und „Verpflegung“. An Hunger und der schweren Arbeit starben bis zum

April 1945 zehn Frauen. Vor der näherrückenden Front trieb die SS die Frauen ins Vernichtungslager Bergen-Belsen. Wieviele an dem dort grassierenden Typhus starben, ist nicht bekannt. Lilly Maor, die heute in Haifa lebt, hat Verbindung zu 323 ehemaligen KZ-Insassen. Sie leben in Israel,

Ungarn, den USA, Kanada, der Schweiz, Schweden, Australien und Südamerika.

Schon in den 70er Jahren versuchte Lilly Maor auf die Spur des KZs zu kommen, in dem sie selbst interniert gewesen war. Aber in Stuhr, wo es lag, hatte man die Spuren gründlich beseitigt. In den

Bremer Behörden wußte man von nichts. Mehr als zehn Jahre später begann Hartmut Müller, Leiter des Bremer Staatsarchivs und Einwohner von Stuhr, zu forschen. Sein Buch: „Die Frauen von Obernheide“ kam vor drei Wochen heraus.

32 ehemalige Zwangsarbeite

rinnen und Angehörige sind seit gestern in Bremen und werden noch eine Woche bleiben. Gestern wurde ihnen die Bremer Innenstadt gezeigt: Die Bremer Stadtmusikanten, der Roland, das Standard-Programm. „Wir kennen das alles nur bombardiert, oder als die Stadt brannte, nach einem vierstündigen Angriff“, erinnerte sich Frieda Gottesmann auf dem Marktplatz, „jetzt ist alles wie geleckt, als wenn das nie geschehen wäre.“

Heute fahren die „Frauen von Obernheide“ mit der Senatsbarkasse auf der Weser und machen eine Hafenbesichtigung. Um 17 Uhr wird an der Wiese in Stuhr, wo früher ihr KZ stand, ein Mahnmal eingeweiht.

Warum sie gekommen sind? Lola Cederbaum-Ohringer hat einen persönlichen Grund: Ihre Schwester, die mit ihr zusammen in Obernheide war, starb wenige Wochen vor der Befreiung im Krankenrevier und ist auf dem Osterholzer Friedhof begraben. „Wir sind jetzt hier mit erhobenem Kopf, nicht mit gesenktem Kopf, und unter Zwang wie früher. Wir können hier jetzt frei sprechen. Dieser Besuch ist wie ein Denkmal.“

mw

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