„Chiles Militärs werden die Macht nicht abgeben“

■ Sergio Poblete, chilenischer Luftwaffengeneral und seit dem Putsch in erzwungenem Ruhestand, zu den Chancen des Plebiszits in Chile am 5.Oktober / „Die Diktatur wird erst fallen, wenn die Industrieländer den Geldhahn zudrehen“

Das prominenteste Jury-Mitglied des Tribunals über 15 Jahre Pinochet-Diktatur am Samstag in Bonn war ein chilenischer Militär: Sergio Poblete, bis zum Putsch Pinochets am 11.September 1973 General der Luftwaffe. Poblete, der zur Regierung des Sozialisten Salvador Allende hielt, wurde wenige Tage nach dem Militärputsch festgenommen. Wie Zehntausende von politischen Gefangenen in Chile wurde auch Luftwaffengeneral Poblete schwer gefoltert. Nach anderthalb Jahren Haft durfte er schließlich das Land verlassen, nachdem ihm die chilenische Staatsangehörigkeit aberkannt worden war. Heute lebt Poblete, der einzige chilenische General im Exil, in Lüttich (Belgien).

taz: Herr General, am 5.Oktober werden die Chilenen Ja oder Nein zu Pinochet sagen. Wagen Sie bitte eine Prognose. Wird Pinochet das Plebiszit gewinnen oder verlieren?

Sergio Poblete: Ob das Ja siegt oder das Nein, fest steht auf jeden Fall, daß die Militärs weiter an der Macht bleiben. Sie haben ja erklärt, daß sie Pinochet verteidigen werden, komme, was wolle.

Aber wenn das Nein siegt, könnte ja...

... dann könnte ja Pinochet das Ergebnis annullieren.

Wie annullieren?

Ein Diktator macht, was er will. Er bittet die Leute nicht um Erlaubnis, oder?

Aber nehmen wir nun mal an, das Nein gewinnt. Könnten sich dann nicht möglicherweise einige Militärs, einige Junta -Mitglieder, vom Verlierer Pinochet absetzen und ein Agreement mit der gemäßigten zivilen Opposition suchen?

Wenn es zu einer Niederlage Pinochets kommt, dann ist es eine Niederlage der Streitkräfte und ihres Regimes. Alle Oberkommandierenden haben sich für die Kandidatur Pinochets (für eine weitere Präsidentschaft, A.d.R.) ausgesprochen. Sie sind alle verantwortlich. Und sie sind in dieses Regime zutiefst verstrickt, in die Korruption, in die Verbrechen. Sie haben alle - im materiellsten Sinne - von diesem Regime profitiert. Weshalb sollten sie jetzt die Macht an Zivile abgeben wollen?

Sie sehen also keine relevanten Friktionen innerhalb der Militärspitze? Was halten Sie denn von den Äußerungen von Luftwaffenchef Matthei, man müßte Verhandlungen mit der Opposition in Betracht ziehen, oder von Marinechef Merino, der auch schon von einem zivilen Präsidentschaftskandidaten geredet hat? Auch Polizeichef Stange hat öffentlich schon eine Alternative zu Pinochet ins Spiel gebracht...

Immer wenn Matthei, Merino oder Stange von der Linie, die Pinochet vorgezeichnet hat, abweichen, kriegen sie eine Kopfnuß verpaßt, und dann spuren sie. Ihren Äußerungen folgen nie Taten.

Also wird sich unabhängig vom Ausgang des Plebiszits in Chile vorerst nichts verändern? Sollen denn die Leute am 5.Oktober zuhause bleiben?

Nein, nein, es wird sich was ändern. Die Militärherrschaft geht zwar weiter. Aber das Bewußtsein in der Bevölkerung wird sich bei einem Sieg des Nein ändern. Die Leute werden merken, daß sie gemeinsam vorangehen können. Pinochet hat ja einen strategischen Fehler gemacht. Hätte er statt zum Plebiszit zu Präsidentschaftswahlen aufgerufen, zu freien, demokratischen Wahlen, so wie es die Opposition fordert, wäre diese ja getrennt marschiert, hätte mehrere Kandidaten aufgestellt und der Kandidat Pinochet hätte die Wahlen gut gewinnen können. So aber gibt es nur einen einzigen Kandidaten, Pinochet, und die Opposition schließt sich gegen ihn zusammen.

Wie wird man denn die Diktatur los? Übers Plebiszit also nicht. Über den bewaffneten Kampf?

Nein, die Diktatur wird erst fallen, wenn die industrialisierten Länder, die sich zivilisiert nennen, sich bewußt werden, was Demokratie ist, wenn sie den Geldhahn zudrehen. Solange der internationale Kapitalismus und seine Organismen, Weltbank und IWF, die Sauerstoffzufuhr nicht unterbrechen, wird sich das Regime halten.

Herr General, würden Sie den Militärs Straffreiheit für ihre Verbrechen garantieren, wenn auf diesem Weg ein Übergang zu einer Demokratie möglich werden sollte?

Ich bin kein Politiker.

Vor kurzem hat Pinochet allen Chilenen im Exil die Rückkehr erlaubt. Gehen Sie zurück?

Poblete: Ja klar. Ich brauche nur noch ein Visum. Ich komme ja als Ausländer nach Chile. Die Diktatur hat mich ausgebürgert. Aber sehen Sie ... hier... hier habe ich schon die Preisliste der Fluggesellschaften: Iberia, Avianca, Aerolineas...

Interview: Thomas Schmid