: „Berührungen aushalten“
Willi Hoss
In einem Brief an die Kreisverbände der Grünen hat Bundes -Vorstandssprecher Christian Schmidt den Münsteraner SPD Parteitag analysiert und sich speziell mit Oskar Lafontaines Rede auseinandergesetzt. Seine Einschätzung gipfelt in der These, die SPD durchlebe zur Zeit ein zweites und viel schlimmeres Godesberg. War das Godesberger Programm 1959 die Hinwendung der SPD zum „sozialen Kapitalismus“, also ins politische und Produktionssystem der Bundesrepublik um regierungsfähig zu werden; so sei das zweite Godesberg der Versuch, die letzten sozialen Hemmnisse zu beseitigen und die SPD als „die moderne Unternehmerpartei“ zu profilieren.
Diese Einschätzung unseres Vostandssprechers halte ich für falsch. Meiner Meinung nach ist die SPD heute in einer ganz anderen historischen Phase: Es gab doch nichts Schlimmeres in der Geschichte der SPD als die zwölf Jahre, die sie, meist unter der Federführung Helmut Schmidts, regierte und in der sie eine Politik der ökologischen Zerstörung aktiv betrieben hat.
In der Opposition hat die SPD seit 1982 aus den verschiedensten Gründen begonnen, diesen damaligen politischen Kurs kritisch zu reflektieren und daraus Konsequenzen zu ziehen. Der eigentliche Kern der Krise der Grünen ist heute, auch in der Folge davon, daß wir den Widerspruch auszuhalten nicht fähig sind, einerseits doch wohl froh sein müssen, daß viele Themen, die wir vertreten haben, heute allgemeiner Bestandteil der politischen Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik sind, und andererseits nicht mehr exlusiv diese Themen besetzt halten und nicht wissen, wie wir in dieser veränderten Situation politisch ansetzen, um die Sache der Ökologie weiterzutreiben. Andere beschäftigen sich heute eben auch sehr viel mit den ökologischen Themen.
Die Grünen spielen ihre eigene Bedeutung herunter, wenn es ihnen in dieser Situation nicht gelingt, aus dem Stadium des Analysierens und Beschreibens der katastrophalen Entwicklung herauszukommen. Niemand wird es den Grünen verzeihen, wenn sie sich ihrer parlamentarischen Möglichkeiten berauben und nicht das Machbare mit ihren sieben oder acht Prozent ihren Beitrag dazu leisten, die großen ökologischen Belastungen zu beseitigen. Man muß dabei auch Berührungen mit anderen Parteien aushalten.
Lafontaines Rede sehe ich insofern positiv, als dadurch deutlich wurde, daß es vielleicht eine breitere Koalition für ein anderes Wirtschaften gibt als bisher. Natürlich gibt es Kritikpunkte an seiner Rede. Aber man sollte sich davor hüten, sie in den Mittelpunkt zu stellen und am Ende mit dem gesamten Lafontaine, der gesamten SPD so zu verfahren. Ich halte seine These zur Verlängerung der Maschinenlaufzeiten für verhehrend. Natürlich, zur Zeit wird viel zu dogmatisch über Maschinenlaufzeiten argumentiert. Ich will versuchen, meine Kritik an Lafontaines These über die Maschinenlaufzeit ökologisch zu begründen.
Es gibt eine bestimmte Technik und Art und Weise, Wirtschaft zusammenzuballen in bestimmten Regionen, die ich für falsch halte. Maschinenlaufzeiten zu verlängern, Wochenendarbeit zu unterstützen liegen im Trend dieses Prozesses der Konzentration. In der Logik des Kapitals liegt es, bei ungeheuerem Kapitalaufwand für die Maschinerie, diese auch zeitlich zu nutzen.
Wenn man sich der Ausweitung der bisherigen Laufzeiten für Maschinen widersetzt, gerät man in Widerspruch zur Kapitalseite. Menschenbedürfnis gegen Kapitalbedürfnis. Zugleich ist eine Schwelle erreicht, die ich, wenn ich wirklich ökologische Politik betreiben will, nicht überschreiten darf. Dabei wird man sicher darüber reden können, ob man im Normal-Schicht-Betrieb bei einer 35 -Stunden-Woche den Achtstunden-Nutzungstag beibehält oder statt fünfmal sieben viermal neun Stunden in den Betrieb geht.
Lafontaines These wird ja im Zusammenhang mit der EG 1992 relevant. Eine Technikentwicklung, bei der sowohl in unseren Regionen in der Bundesrepublik als auch in der EG die Produktion ungleich verteilt ist, aber auch im Verhältnis zur Dritten Welt diese Ungleicheit festgeschrieben wird, ist unökologisch. Warum sind wir hier die Werkstatt der Welt für die Produktion von Waren für andere Länder? Warum sollen, weil hier die Produktion angesammelt ist, Türken, Italiener, Spanier unter schwierigen sozialen Bedingungen herkommen?
Ich möchte dagegen eine Utopie setzen, bei der die Produktionsstätten verteilt sind auf die Regionen und Länder, die Waren dort hergestellt werden, wo sie auch gebraucht und verbraucht werden. Einen gewissen Austausch wird es immer geben, aber nicht diese Ungleicheit. Wenn Lafontaine die Menschen dazu auffordert, sich auf verlängerte Maschinenlaufzeiten einzustellen, dann bedeutet dies doch auch noch darüber hinaus, daß der Familienvater im Zwei-Schicht-Betrieb morgens um halb vier aufstehen muß und die Frau erst um Mitternacht den Betrieb verläßt. An all diesen Widersprüchen sollten die Grünen die Auseinandersetzung mit Lafontaine suchen und deutlich machen, daß eine solche Produktionsweise nicht ökologisch sein kann, statt ihn und die SPD zu verteufeln. Es geht doch jetzt darum, den Kapitalismus zu bändigen.
Ich will damit aber auch nicht gleich sagen, daß ich für einen ökologischen Kapitalismus bin. Denn ich habe meine Zweifel daran, ob man bei Beibehaltung der Großstrukturen multinationaler Konzerne eine Ökologisierung erreichen kann.
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