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Kekse, Zeugen, graue Kassen

■ Bericht aus dem geregelten Innenleben des Untersuchungsausschusses „St.JürgenStraße“ / EinbrecherInnen hören über Radio mit

Morgens um 9.30 Uhr, wenn der Vorsitzende Andreas Lojewski den ersten Zeugen belehrt, sind die Rollen im Untersuchungsausschuß „St.Jürgen“ verteilt: Wer zwei Minuten zu spät zur Tür rein kommt und wer wirklich nie etwas fragt, wer immer Kekse nascht und wer sich ständig neu sein Fragerecht ertrotzen muß - wie der FDPAbgeordnete Heinrich Welke, der mit einem unüberhörbaren „Jetzt bin ich aber

dran“ den Ausschuß-Vize Günter Klein in seine Schranken zu weisen sucht. So ein KrankenhausUntersuchungs-Ausschuß führt nach Monaten des Bestehens ein lauschiges und streng geregeltes, eng zusammengeschmiedetes Familienleben. Selbst so mancher Journalist gehört zum angegrauten Inventar und beansprucht „seinen“ Sitzplatz.

Zwar sind auch viele ZeugInnen bereits von ihrer ersten Vernehmung her den meisten bekannt, doch ihre Aussagen sorgen regelmäßig für Abwechslung: Der Zeitplan kann völlig durcheinander geraten, die Aussage kann plötzlich verweigert werden, aber vor allem: die ParlamentarierInnen können sich aus erster Hand weiterbilden. Sie lernen Neues über den Schwarzmarkt im Silberhandel oder über die Bedingungen, unter denen sich Bakterien in Chirurgischen Intensivstationen am besten vermehren.

So eine eingespielte Ausschuß-Familie fängt schon vor der Türe an. Im Foyer ist ein Beamter der Bürgerschaft abgestellt, den Zutritt zu kontrollieren. Dann gibt es

die ParlamentsstenographInnen, die das Frage-Antwort -Geschehen auf 15-Minuten-Ton-Bändern speichern. Sogar Arbeitsplätze hat der Ausschuß geschaffen: „Zehn Damen“ wurden eigens angestellt, diese unzähligen Tonbänder abzutippen. Auf festen Seitenplätzen verfolgen drei Bürgerschafts-Juristen stumm das Geschehen. Mindestens zwei weitere Juristen sitzen tagein tagaus im Auftrag der Gesundheitssenatorin und des Bürgermeisters ihre Lebenszeit im Ausschuß ab. Keineswegs zu vergessen sind die vier fleißigen wissenschaftlichen Mitarbeiter der vier Fraktionen, die spürnasig die fast 400 Aktenordner, Fahrten und Tagebücher querlesen müssen. Häufig hören sich auch die ermittelnden Kripobeamten oder der Staatsanwalt Vernehmungen an, wobei sich die Beamten neidvoll die personelle Ausstattung des Ausschusses betrachten. Denn die Kripo -Gruppe „St.Jürgen“ muß mit sechs Beamten und ganz ohne Sekretär auskommen. Der ZuschauerInnen-Raum ist recht leer, bis auf interessierte Rentner wie den, der kommt, weil ihn

seine Gattin am Vormittag nicht im Haus ertragen kann. Seit zwei Wochen wird die Zeugenvernahme im Rundfunk live übertragen. Eine schrankenlose Öffentlichkeit, die Bremens Datenschützer bereits auf den Plan gerufen hat: Eine Pensionärin hatte sich an ihn gewandt, hatte sie doch im Ausschuß und damit über Äther freimütig ihre Adresse und ihre häuslichen Geldverstecke preisgegeben.

Das Frage-Antwort-Geschehen wird von dem eingespielten Gespann Lojewski (SPD) und Klein (CDU) bestimmt, erst wenn beide ihr Pulver verschossen haben, kommt die eine Grüne und der eine FDP'ler an die Reihe. Die vier weiteren SPD -Ermittlerinnen treten vor allem sitzend in Erscheinung, das abendliche Aktenstudium haben sie zumeist aufgegeben. Die größte kriminalistische Motivation haben verständlicherweise die Abgeordneten der Oppositionsparteien, die klammheimlich hoffen, von Klinik-Mißständen endlich zu Bauskandalen und Parteispenden-Affairen vorzustoßen und das Familienidyll zu stören.

B.D.

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